Bereits nach den Massenprotesten im Juni 2013, als Millionen Brasilianer eine Erneuerung des politischen Systems forderten, hatte Rousseff Reformen angekündigt. Allerdings wurde keine davon umgesetzt, auch nicht die Reform der umstrittenen Wahlkampf- und Parteienfinanzierung.
Kirche fordert Reformen
Mitte 2014 startete Brasiliens katholische Kirche daraufhin gemeinsam mit der Anwaltskammer OAB eine Unterschriftenaktion zur Umsetzung von Reformen. Bisher kamen 400.000 Unterschriften zusammen. „Die Kirche positioniert sich in dieser Frage zu schüchtern“, urteilt Betto. „In den 70er und 80er Jahren war sie da schon mal viel prophetischer. Aber Dank der Ernennung konservativer Bischöfe unter den Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. kann sie heute nicht mehr so auftreten.“
Eine deutliche Absage erteilt der Dominikaner, der unter Ex-Präsident Lula kurzzeitig für die Umsetzung von Sozialprogrammen zuständig war, aber auch den Rufen nach einem Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff. „Wäre sie weg, übernähme ihr Vize Michel Temer, eine Person mit noch viel weniger Glaubwürdigkeit als Dilma“, so Betto.
Geradezu geschockt zeigt sich der Theologe, der unter der Militärdiktatur (1964–1985) jahrelang im Gefängnis saß, angesichts der vereinzelt geäußerten Forderung nach einer Intervention der Militärs. „Das ist der Horror. Das wäre, als ob man in Deutschland die Rückkehr der Nazis fordern würde.“ Brasilien verfüge über eine konsolidierte Demokratie, „und die gilt es zu verteidigen“.
Die Regierung müsse sich nun ihrer alten Basis nähern, mahnt Betto. Statt sich wie früher auf die Gewerkschaften, Landlosenbewegungen, kirchliche Organisationen etc. zu stützen, habe sich die Arbeiterpartei auf eine „promiskuitive Allianz“ mit anderen Parteien eingelassen – was letztlich zur aktuellen Krise geführt habe. „Die PT muss sich wieder den Sozialbewegungen zuwenden – sie waren es, die Lula und Dilma überhaupt erst an die Macht gebracht haben.“
Von Thomas Milz (KNA)