„Mehrfach in der Minderheit“
Dänemark ist ein Land mit einer langen christlichen Tradition. Seit der Reformation gehört die Mehrheit der Bevölkerung der lutherischen Volkskirche an. Die Katholiken leben mit 0,7 Prozent der Bevölkerung in einer extremen Diaspora. Diese Situation ist für die Gläubigen jedoch kein Grund zur Resignation, erklärt der Bischof von Kopenhagen, Czeslaw Kozon, im Interview.
Aktualisiert: 12.07.2015
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Dänemark ist ein Land mit einer langen christlichen Tradition. Seit der Reformation gehört die Mehrheit der Bevölkerung der lutherischen Volkskirche an. Die Katholiken leben mit 0,7 Prozent der Bevölkerung in einer extremen Diaspora. Diese Situation ist für die Gläubigen jedoch kein Grund zur Resignation, erklärt der Bischof von Kopenhagen, Czeslaw Kozon, im Interview.
Frage: Was bedeutet Diaspora in Dänemark?
Kozon: Diaspora in Dänemark, das heißt, mehrfach in der Minderheit zu sein. Zum einen als katholischer Christ – wir bilden eine kleine katholische Kirche mit rund 40.500 registrierten Katholiken, nur 0,7 Prozent der Bevölkerung – und zum anderen als Christ an sich. Obwohl Dänemark ein altes christliches Land ist, wird der Glaube immer seltener gelebt.
Frage: Wie halten es Dänen mit dem Glauben?
Kozon: Einerseits gehen nur sehr wenige Lutheraner regelmäßig zur Kirche. Zwar werden noch 80 Prozent der Dänen getauft. Aber über den Glauben wissen viele nur noch sehr wenig. Andererseits gehört es zur dänischen Identität, Christ zu sein. In der kulturellen Tradition des Landes hat die lutherische Kirche ihren festen Platz. Allerdings herrschte lange Zeit das Einverständnis, dass sich die lutherische Kirche nicht in Gesellschaftsfragen einmischen soll. Der Glaube galt als ein sehr privates Anliegen auch unter tiefgläubigen Menschen. Diese Haltung ändert sich erst langsam. Es gilt nicht mehr unbedingt als ein Tabu, über Religion zu sprechen. Aber die meisten Dänen verhalten sich sehr schüchtern, wenn es um ihren Glauben geht.
Frage: Wie gestaltet sich das Verhältnis zur lutherischen Volkskirche?
Kozon: Die katholische Kirche ist Teil des dänischen Kirchen-Rats. Wir arbeiten sowohl mit der Volkskirche als auch mit anderen Glaubensgemeinschaften gut zusammen. Dass die große Mehrheit der Bevölkerung nur einer einzigen Kirche angehört, prägt das Verhältnis der Christen untereinander. Über Jahrhunderte hat die lutherische Kirche das Bild des Christentums im Land ganz allein gezeichnet. Im persönlichen Verhältnis funktioniert die Ökumene sehr gut. Die Volkskirche hilft uns auf lokaler Ebene. Sie stellt Kirchen zur Verfügung, wenn unsere Gotteshäuser zu klein werden.
Frage: Gibt es einen Austausch im Gebet und in Glaubensfragen?
Kozon: Ein fester Termin ist jedes Jahr die Kirchenwanderung in der Gebetswoche für die Einheit der Christen. Sie findet in Kopenhagen, aber auch an vielen weiteren Orten in Dänemark statt. Glaubensgespräche gibt es dagegen weniger. In einigen theologischen und ethischen Fragen haben wir uns in den vergangenen Jahren voneinander entfernt. Das stört zwar nicht die guten menschlichen Beziehungen, aber es erschwert ein Glaubensgespräch.
Frage: Ihr Bistum zählt 46 Pfarreien – nicht wenige, vergleicht man dies mit anderen nordischen Ländern. Wie kommt das?
Kozon: Bis vor einigen Jahrzehnten war Dänemark das katholischste Land Nordeuropas. Wir hatten sehr früh weit über 20.000 Katholiken. Auslöser war die Einführung der Religionsfreiheit 1849. Dadurch konnte ein engmaschiges Pfarrnetz aufgebaut werden. Bischof Johannes von Euch [1834–1922; Anm. d. Red.], ein Deutscher, legte den Grundstein für die Strukturen, die bis heute in etwa gelten. Er gründete Pfarreien, baute zahlreiche Kirchen und lud viele Orden nach Dänemark ein. Diese eröffneten Krankenhäuser und Schulen.
Frage: Wie viele Priester wirken im Bistum?
Kozon: 71 Priester arbeiten zurzeit in Dänemark, darunter 31 Ordenspriester. Vor einigen Jahren stellten die Orden zwei Drittel des Klerus. Viele Orden zogen sich jedoch in den letzten Jahren zurück. Andere versuchen es mit Patres aus Polen, Indien oder andern Ländern. Priester, die heute kommen, sind meist Weltpriester. Zwölf gehören zur geistlichen Gemeinschaft Neokatechumenat, die ein eigenes Priesterseminar in Dänemark unterhält.
Frage: In Deutschland werden Pfarreien fusioniert, weil es zu wenige Priester gibt …
Kozon: Auch wir müssen die Zahl der Pfarreien verringern. Daher arbeiten wir an einem neuen Strukturplan. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Zunächst haben wir durch den Abzug der Orden deutlich weniger Priester. Dann erleben wir eine nicht ganz einfache Finanzsituation. Zudem hat sich die Verteilung der Katholiken in Dänemark verändert. In einigen Regionen, wo einst blühende Gemeinden existierten, leben heute nur noch wenige Katholiken. Die nordische Kirche ist eine Einwandererkirche.
Frage: Wie verhält sich das in Dänemark?
Kozon: Mehr als 50 Prozent der Katholiken sind Einwanderer der ersten, zweiten oder dritten Generation. Die größten Gruppen kommen aus Polen und Litauen, von den Philippinen, aus Vietnam oder aus Sri Lanka. Ich empfinde es als Bereicherung und zugleich als Herausforderung. Einerseits haben Einwanderer Pfarreien gerettet, die kurz vor dem Aussterben standen. Andererseits frustriert es so manchen dänischen Katholiken, dass er sich plötzlich in seiner eigenen Kirche in der Minderheit erlebt.
Frage: Durch Grönland und die Färöer sind Sie Bischof eines der größten Bistümer der Welt. Wie häufig fahren Sie hin?
Kozon: Nach den Färöern fahre ich einmal im Jahr, nach Grönland etwas seltener. Das meiste spielt sich im eigentlichen Dänemark ab. Auf Grönland leben knapp 100 Katholiken, obwohl auch dort ihre Zahl wächst. Auf den Färöer-Inseln blüht hingegen das Gemeindeleben.
Frage: 22 katholische Schulen gibt es in Dänemark. Das ist einzigartig in Nordeuropa …
Kozon: Die Schulen wurden von Ordensgemeinschaften ab Ende des 19. Jahrhunderts für katholische Kinder gegründet. Sie bekamen sehr schnell einen guten Ruf, so dass schon früh auch Nichtkatholiken die Schulen besuchten. Heute sind rund zehn Prozent der Schüler katholisch. Katholische Schule zu sein hat sich gewandelt. Es bedeutet heute etwas anderes als noch vor 50 Jahren. Damals stärkten sie das katholische Milieu, heute sind sie ein Beitrag in der Gesellschaft.
Frage: Religionsunterricht ist an diesen Schulen obligatorisch, an staatlichen nicht?
Kozon: Nein, an staatlichen Schulen wird das Fach Christenkunde unterrichtet, was jedoch nicht mit Religionsunterricht vergleichbar ist. Das Fach gibt Auskunft vorwiegend über das Christentum, aber auch über andere Religionen. Katechese ist an staatlichen Schulen verboten. Ob man ein Vaterunser beten oder an einem lutherischen Weihnachtsgottesdienst teilnehmen darf, ist ein Streitthema. Die Menschen haben Angst, dass ihren Kindern das Christentum aufgezwungen wird.
Frage: Wie finanziert sich die Kirche?
Kozon: Die katholische Kirche in Dänemark bekommt, anders als in Schweden oder Norwegen, keinerlei staatliche Unterstützung. Wir halten zwar die Katholiken an, Kirchgeld zu zahlen, allerdings reicht das nicht aus. Denn neben den 40.500 registrierten Gläubigen leben noch viermal so viele katholische Christen in Dänemark, die nicht registriert sind und von denen trotzdem viele in die Messe kommen. Wir befinden uns in einer noch nie da gewesenen Finanzkrise. Wir müssen Gebäude verkaufen und sind auf die Solidarität aus dem Ausland angewiesen, vor allem aus Deutschland, insbesondere auf die Hilfe des Bonifatiuswerkes , des Diaspora-Kommissariats und der Ansgar-Werke.
Das Interview führte Alfred Herrmann.