Knecht: Cajamarca gilt als eine der Diözesen, wo der Geist des Konzils am stärksten verwirklicht wurde. Den Anstoß dafür gab der damalige Bischof von Cajamarca, José Dammert. Er war der entscheidende Motor für die Bewegung der sogenannten „Kleinen Bischöfe“, die aus dem Katakombenpakt hervorgegangen ist. Anstatt sich auf die Seite der Großgrundbesitzer in Peru zu stellen, ging Bischof Dammert auf das Land zur indigenen Bevölkerung und verkündete dort das Evangelium. Die meisten Menschen hatten bis dahin noch nie etwas von Jesus gehört. Zusammen mit den Campesinos, den Landarbeitern, fand er neue Strukturen und Verantwortlichkeiten, zum Beispiel durften indigene Katecheten Männer und Frauen taufen, sie durften predigen und Gemeinden leiten. Das hat zu einem unglaublichen Aufbruch der Kirche geführt – und gleichzeitig zu einem Zurückdrängen von Gewalt und Ungerechtigkeit. Es gibt viele Zeugnisse von Campesinos, die sagen, durch das Konzil und Bischof Dammert hätten sie zum ersten Mal erfahren, was es hieße, Kind Gottes zu sein, ausgestattet mit einer unendlichen und unantastbaren Würde.
Frage: Die Forderungen des Katakombenpakts von 1965 nach einer dienenden und armen Kirche sind heute noch genauso aktuell wie damals. Wo sehen sie diese Verpflichtungen in der Kirche in Deutschland umgesetzt?
Knecht: Da sehe ich leider noch große Unterschiede. Die Kirche in Deutschland steckt in einem Dilemma. Auf der einen Seite ist sie die reichste Kirche der Welt. Sie hat die finanziellen Mittel, unglaublich viel Gutes zu tun – nicht nur weltweit, sondern auch in Deutschland. Das ist ein großer Schatz. Auf der anderen Seite bringt der Reichtum auch Gefahren mit sich. Er hat dazu geführt, dass die Hinwendung zu den Armen, wie sie die Kirche in Lateinamerika im Nachklang des Konzils vollzog, in Deutschland nie stattgefunden hat. Auf der zweiten Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe in Medellín wurde der Geist des Konzils konkret auf die Lebenswirklichkeit der Leute angewandt. Die Bischöfe kamen zu dem Schluss: So wie die Menschen in Lateinamerika leben, als Arme, das ist nicht der Wille Gottes. Das ist eine Ungerechtigkeit, die zum Himmel schreit. Gott will nicht, dass Kinder verhungern, obwohl es genügend Nahrungsmittel gibt. Diese theologische und gesellschaftspolitische Analyse wurde so in Europa und speziell in Deutschland nicht durchgeführt. Wäre dem so gewesen, hätte man sich vielleicht als eine Kirche entdeckt, die selbst in ein ausbeuterisches System eingebunden ist und von den herrschenden Verhältnissen mit profitiert. Das wäre eine sehr bittere Selbsterkenntnis gewesen. Aber gerade diese Einsicht ist notwendig.