Christen und Muslime im Gespräch
Interreligiöser Dialog ‐ Auf einer Dialogveranstaltung der Eugen-Biser-Stiftung am Samstag in der Universität Tübingen haben christliche und islamische Theologen einen entschiedenen Aufruf zugunsten der Religionsfreiheit geleistet. „In der Religion gibt es keinen Zwang“, stellte Nahide Bozkurt klar, die an der Ankara Universität Islamische Geschichte lehrt. „Gemäß dem Koran ist den Menschen freigestellt, ob sie glauben möchten oder nicht. Wer will, glaubt an die Botschaft Mohammeds, und wer nicht will, glaubt nicht daran“, sagte die Professorin mit Blick auf eine Sure im Koran (18:29).
Aktualisiert: 12.07.2015
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Auf einer Dialogveranstaltung der Eugen-Biser-Stiftung am Samstag in der Universität Tübingen haben christliche und islamische Theologen einen entschiedenen Aufruf zugunsten der Religionsfreiheit geleistet. „In der Religion gibt es keinen Zwang“, stellte Nahide Bozkurt klar, die an der Ankara Universität Islamische Geschichte lehrt. „Gemäß dem Koran ist den Menschen freigestellt, ob sie glauben möchten oder nicht. Wer will, glaubt an die Botschaft Mohammeds, und wer nicht will, glaubt nicht daran“, sagte die Professorin mit Blick auf eine Sure im Koran (18:29).
Ihr Kollege Halis Albayrak, der ebenfalls an der Ankara Universität Koranexegese lehrt, pflichtete ihr bei: „Der Koran kennt den religiösen Pluralismus. Im Koran kommt es auf die Taten an. Wer bessere, nützlichere, schönere Taten vollbringt, soll in diesem wie im anderen Leben belohnt werden“, sagte Albayrak. Zugleich forderte er, den Koran verstärkt mit einer historisch-kritischen Exegese zu lesen. „Die Botschaften beziehen sich auf eine bestimmte Zeit der Geschichte und müssen in die Gegenwart übersetzt werden“, sagte Albayrak. Der Koran biete keine Grundlage, die Religionsfreiheit anzutasten.
Zweites Vatikanisches Konzil führe Paradigmenwechsel herbei
Der Münchner Religionsphilosoph Richard Heinzmann erinnerte daran, dass auch das Christentum über lange Zeit hinweg extrem intolerant gewesen sei. „Erst das Zweite Vatikanische Konzil hat die Freiheit des Einzelnen in den Vordergrund gerückt und damit die Religionsfreiheit groß geschrieben“, sagte Heinzmann. Er warnte davor, den Islam pauschal als Religion der Gewalt zu verurteilen. „So wie das Christentum nicht nur Kreuzzug bedeutet, so bedeutet der Islam nicht nur Islamismus und Islamischer Staat“, sagte Heinzmann.
Laut Peter Antes, Professor für Religionswissenschaft an der Universität Hannover, sei die Religionsfreiheit das Ergebnis von gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen und verwies auf die Debatte um die aus religiösen Gründen gebotene Beschneidung. Auch sei die Bestattung ohne Sarg, wie sie in der islamischen Welt üblich sei, nicht in allen Bundesländern erlaubt. „Wir müssen uns immer wieder neu für die Religionsfreiheit einsetzen“, forderte Antes.
Lexikon des Dialogs
Die Professoren waren am Wochenende auf Einladung der Münchner Eugen-Biser-Stiftung und des Zentrums für Islamische Theologie der Universität Tübingen in die Neckarstadt gekommen. Sie sind Mitherausgeber bzw. Autoren des Lexikons des Dialogs , das „Grundbegriffe aus Christentum und Islam“ erläutert und in deutscher und türkischer Ausgabe vorliegt.

Darin präsentieren Theologen aus Deutschland und der Türkei gemeinsam eine christliche und eine muslimische Sicht auf die je eigene Religion und erläutern die jeweiligen Grundbegriffe, um zum interreligiösen Austausch anzuregen. Das zweibändige Lexikon wurde von der Eugen-Biser-Stiftung und der Universität Ankara herausgegeben. Zusätzlich hat die Stiftung das Handbuch Christentum und Islam in Deutschland veröffentlicht, das kürzlich erschienen ist.
„Bündnis der Vernünftigen“ gefordert
Die zweitägige Veranstaltung war überschattet von der Frage nach dem Platz des Islams in der gegenwärtigen Gesellschaft. Aufgrund der Terror-Aktivitäten des Islamischen Staats, der Anschläge auf „Charlie Hebdo“ und der Pegida-Demonstrationen bietet diese Frage derzeit Raum für breite Kontroversen. Die aktuelle Situation sei für muslimische Theologie-Studierende „sehr angespannt“, sagte der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie in Tübingen, Erdal Toprakyaran. Muslimische Studierende würden im Alltag von Nachbarn und Kommilitonen regelmäßig auf die Verbrechen des Islamischen Staates oder die Anschläge von Paris angesprochen und sollten diese zu erklären versuchen, sagte Toprakyaran.
Viele Studierende hätten „keine Lust sich zu distanzieren“, weil sie nie eine Nähe zum Denken der Terroristen gehabt hätten; allerdings „geht es derzeit in Seminaren und Vorlesungen nicht anders, als darüber zu reden“, so Toprakyaran. Keiner der 150 Tübinger Islam-Studenten heiße Gewalt als Mittel zur Durchsetzung religiöser Vorstellungen gut. Der Wissenschaftler betonte, es werde in allen Religionen immer Extremismus und gewaltbereite Menschen geben. Notwendig sei deshalb „ein Bündnis der Vernünftigen“.
Dies ist auch Anliegen der Eugen-Biser-Stiftung, die seit Jahren Grundlagenarbeit zum christlich-islamischen Dialog leistet. Die Stiftung ist nach dem Theologen Eugen Biser benannt, der 2014 im Alter von 96 Jahren verstorben ist. Neben seinen fundamentaltheologischen und religionsphilosophischen Schriften ist Eugen Biser für sein entschiedenes Eintreten für den Dialog mit Judentum und Islam bekannt.
Von Raphael Rauch, Universität Tübingen