Vera: Ja, ich tausche mich ständig mit den Familien aus. Wir unterstützen schon seit langer Zeit die Angehörigen von Verschwundenen. Viele glauben den offiziellen Ermittlungsergebnissen nicht. Sie sind überzeugt, dass am Ende die Regierung dahintersteckt. Es wäre nicht der erste Fall von staatlicher Gewalt und von einem Zusammenwirken von Bundesbehörden und den Drogenkartellen.
Frage: Wo liegen die Ursachen, und was sind die größten Probleme, unter denen Mexiko derzeit leidet?
Vera: Die Regierung und das politische System in Mexiko bevorzugt vor allem jene, die viel Geld haben. Mexiko leidet unter dem Einfluss neoliberaler Politik, die multinationalen Unternehmen erlaubt, den Arbeitern erbärmliche Löhne zu zahlen und das Land auszubeuten, ohne Rücksicht auf die Umwelt zu nehmen. Den indigenen Völkern wird das Land weggenommen, ohne ihre Rechte zu achten. Es gibt in Mexiko eine strukturell organisierte Ungerechtigkeit.
Frage: Aber was können Europa und Deutschland tun, damit sich daran etwas ändert?
Vera: Es wäre eine große Hilfe, wenn die Europäer darauf drängten, dass Mexiko die bereits bestehenden Rechte von Arbeitern und die geltenden Menschenrechte auch tatsächlich einhält. Europa muss bei künftigen Abkommen darauf bestehen, dass die Grundrechte der Menschen respektiert werden. Das wäre schon ein riesiger Fortschritt.
Frage: Sie gehören zu den Befürwortern der Idee, eine neue Verfassung für Mexiko zu erarbeiten. Was genau schwebt Ihnen vor?
Vera: Die mexikanische Zivilgesellschaft soll eine neue Verfassung erarbeiten, die einen politischen Neuanfang ermöglicht. Die derzeitige politische Klasse zeichnet sich durch einen Mangel an moralischen Werten und durch Zynismus aus. Es gibt in Mexiko einen großen Willen zu politischer Veränderung. Wir laden dazu ein, dass sich alle Mexikaner an dieser Debatte beteiligen.
Das Interview führte Tobias Käufer (KNA).