Bedeutender Literat
Doch Cardenal ist mehr als die Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche. Seit Jahrzehnten erhält er für sein literarisches Werk internationale Auszeichnungen, so 1980 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2012 den spanischen Königin-Sofia-Preis für Iberoamerikanische Literatur. Kritiker nennen ihn den „Begründer der mystischen lateinamerikanischen Literatur“ oder auch einen „der originellsten christlichen Mystiker des 20. Jahrhunderts“. Cardenal, der sich selbst als vollkommen unmusikalisch und farbenblind beschreibt, ist indes kein Autodidakt. Er entstammte einer wohlhabenden Familie, studierte in New York Literatur und hatte früh Kontakte nach Europa.
1966 gründete der Nonkonformist, der auch im deutschen Winter mit offenen Sandalen über Eis und Schnee läuft, auf der Insel Solentiname im Nicaragua-See eine an radikal-urchristlichen Idealen orientierte Gemeinschaft. Es entstand das „Evangelium der Bauern von Solentiname“, in dem der Priester vom Bemühen der Menschen erzählte, ihr Leben im Licht der Botschaft Jesu zu deuten. 1977 floh er nach Costa Rica und warb um Unterstützung für die Sandinisten. Es folgten Cardenals Jahre in der Politik. Auch heute noch hält er Christentum und Marxismus für miteinander vereinbar und prognostiziert das „Jahrhundert eines marxistischen Christentums“. Die wichtigste Entscheidung seines Lebens sei, dass er sich Gott verschrieben habe „und damit auch dem Volk und der Revolution“.
Aber Cardenal machte auch später noch Kulturpolitik. Mit der im Vorjahr verstorbenen österreichischen Fernsehlegende Dietmar Schönherr gründete er in der einstigen spanischen Kolonialstadt Granada am Nicaragua-See die „Casa de los tres mundos“. Das „Haus der drei Welten“ will die in dem Land verschmolzenen europäischen, indianischen und afrikanischen Kulturelemente miteinander ins Gespräch bringen. Wenn es geht und er nicht unterwegs ist, hilft er auch dort immer noch mit.
Von Michael Jacquemain (KNA)