Zwischen Exil und Sprachlosigkeit
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Zwischen Exil und Sprachlosigkeit

Venezuelas Bischöfe haben sich für die Klartext-Variante entschieden: Zum Auftakt ihrer Vollversammlung in der vergangenen Woche stellte der Vorsitzende, Erzbischof Diego Padron Sanchez aus Cumana, der Politik seines Heimatlandes ein Armutszeugnis aus. Die Politik gegenseitiger Blockaden schmälere die Chancen, Wege aus der Krise zu finden, die das Land gerade durchmache. Es brauche gemeinsame Anstrengungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, um die komplexe Situation zu lösen. Die Philosophie des Systems treibe die Gewalt im Land weiter an, so Padron mit Blick auf die enorm hohe Mordrate Venezuelas.

Erstellt: 13.01.2015
Aktualisiert: 12.07.2015
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Venezuelas Bischöfe haben sich für die Klartext-Variante entschieden: Zum Auftakt ihrer Vollversammlung in der vergangenen Woche stellte der Vorsitzende, Erzbischof Diego Padron Sanchez aus Cumana, der Politik seines Heimatlandes ein Armutszeugnis aus. Die Politik gegenseitiger Blockaden schmälere die Chancen, Wege aus der Krise zu finden, die das Land gerade durchmache. Es brauche gemeinsame Anstrengungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, um die komplexe Situation zu lösen. Die Philosophie des Systems treibe die Gewalt im Land weiter an, so Padron mit Blick auf die enorm hohe Mordrate Venezuelas.

Die Worte – die sich keinesfalls nur an die regierenden Sozialisten richteten – verfehlten ihre Wirkung nicht. Parlamentsvizepräsidentin Tania Diaz schaltete in den gewohnten Angriffsmodus und warf der Kirche Arroganz vor. Im Frühstücksprogramm des linientreuen Regierungssenders VTV warf die frühere Ministerin den Bischöfen vor, das Land mit ihren Äußerungen weiter zu spalten. Genau das aber wollen die Bischöfe nicht. Sie riefen Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft auf, zu einem „respektvollen Dialog“ zurückzukehren. Nur in gegenseitigen Gesprächen könnten die zahlreichen Probleme des Landes gelöst werden.

„Totalitär und zentralistisch“

Hören will diesen Ruf nach gegenseitigem Respekt in der Parteizentrale der Sozialisten niemand. Trotzdem erneuerten die Bischöfe in dieser Woche ihren Ruf nach Reformen und Dialog. Wie die Zeitung „El Universal“ (Onlineausgabe Montag) berichtete, forderten die Kirchenmänner Staatspräsident Nicolas Maduro auf, dem privaten Sektor mehr Spielräume in der Wirtschaft und in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens zu gewähren.

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Lange Warteschlangen vor den Supermärkten seien eine Konsequenz des Versuchs, dem Land ein Wirtschaftssystem sozialistischer, kommunistischer und marxistischer Prägung aufzuzwingen. Dies sei „totalitär und zentralistisch“ und gegen die Freiheit und die Rechte von Personen und Unternehmen gerichtet, zitiert die Zeitung aus einem Schreiben der Bischofskonferenz. Die Regierung müsse Maßnahmen ergreifen, um Produktionshemmnisse abzubauen, die Inflation zu stoppen und den Mangel an lebensnotwendigen Waren zu beenden. Man müsse sich von dem gescheiterten ideologischen Konzept verabschieden, alles zu kontrollieren, so Padron Sanchez.

Ein Land in der Krise

Venezuela steckt seit gut einem Jahr in einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Krise. Der massive Ölpreisverfall trifft den Staatshaushalt hart. Rund 80 Prozent der Einnahmen des Landes hängen vom Erdöl ab. Etwa 100 US-Dollar pro Barrel seien notwendig, um die Ausgaben zu decken, haben Experten ausgerechnet. Doch davon ist der Ölpreis derzeit weit entfernt.

Weil es sowohl der 2013 verstorbene „Revolutionsführer“ Hugo Chavez als auch sein Nachfolger Nicolas Maduro im Vertrauen auf einen stetig hohen Ölpreis versäumten, alternative Wirtschaftszweige aufzubauen, herrscht nun Ratlosigkeit in Caracas. Die Versorgungslage ist bereits seit Jahren katastrophal.

Keine Lösung im Fall Lopez

Auch im Fall des seit Februar inhaftierten Oppositionsführers Leopoldo Lopez zeichnet sich keine Lösung ab. Maduro ließ vor wenigen Tagen einen Versuchsballon steigen und versuchte, den prominenten Häftling zur Tauschmasse zu degradieren. Er schlug öffentlich einen Austausch des bürgerlichen Politikers gegen den seit 32 Jahren einsitzenden Puertoricaner Oscar Lopez Rivera vor. Der wurde 1981 zu einer langen Haftstrafe verurteilt, weil in seiner Wohnung eine Bombenwerkstatt entdeckt wurde.

Lopez'' Ehefrau Lilian Tintori, die seit Wochen unermüdlich für die Freilassung ihres Mannes um den Erdball reist, sieht sich durch Maduros Vorgehen bestätigt: „Er hat meinen Mann damit endgültig zu einem politischen Gefangenen gemacht.“ Lopez selbst erklärte aus seiner Zelle, er werde Venezuela niemals verlassen.

In Caracas wird nun die Zeit knapp – denn in wenigen Wochen jähren sich nicht nur die international umstrittene Inhaftierung von Lopez, sondern auch die Massenproteste der Studenten, die sich gegen Lebensmittelknappheit, staatliche Gewalt und Medienzensur richteten. Wie die frustrierte Bevölkerung an diesen Tagen agieren wird, ist fraglich. Denn geändert hat sich im vergangenen Jahr nichts.

Im Gegenteil: Viele junge Venezolaner haben nach der brutalen Niederschlagung der Proteste die Hoffnung aufgegeben, dass es in ihrem Heimatland absehbar besser werden wird. „Der Verlust an jungen Talenten ist alarmierend“, sagt der Erzbischof von Merida, Baltazar Porras, mit Blick auf jene Landsleute, die jeden Monat zu Tausenden ins freiwillige Exil gehen.

Von Tobias Käufer (KNA)

Weiterführendes

Eine deutsche Zusammenfassung des Hirtenbriefs der venezolanischen Bischöfe können Sie auf dem Adveniat-Informationsportal „Blickpunkt Lateinamerika“ lesen: