Arntz: Offenbar ist der Papst – nach seinen Erfahrungen mit den
„cartoneros“
(den Müllsammlern) in Buenos Aires – einerseits davon überzeugt, dass sich die Ausgegrenzten, die Unterdrückten, die organisierten Armen selbst der chaotischen Situation stellen können, in die sie das System gebracht hat. Andererseits will er offenbar seinerseits dazu beitragen, dass soziale Bewegungen und Kirche gemeinsam handeln und damit der „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ die „Globalisierung der Solidarität“ entgegensetzen. Die „kleinen Leute“ selbst, die in den sozialen Bewegungen organisierte Mehrheit der Armen, sollen ihre Energien bündeln, um der globalen Krise zu widerstehen und nach den besten Lösungen zu suchen. Der Papst will, dass ihre Stimmen gehört werden.
Frage: Die
Ansprache von Papst Franziskus
vor Vertretern der sozialen Bewegungen liest sich wie ein Programm der
Befreiungstheologie
. Ist Franziskus ein Befreiungstheologe?
Arntz: Der Papst lebt, redet und handelt aus der
„Option wegen der Armen“
(„opción por los pobres“), weil er davon überzeugt ist, dass Gott geehrt wird, wo und wenn die Armen leben können. Deshalb empört er sich über die immer noch herrschende Sklaverei, die Opferung von Menschen für den Fetisch Geld, die Zerstörung der Schöpfung. Das Christentum Lateinamerikas hat in den letzten fünfzig Jahren gelernt, den Gott des Lebens von den Götzen des Todes zu unterscheiden. Deshalb konnte es Glauben, gesellschaftliches Engagement und Befreiung aus jeder Art von Unterdrückung eng miteinander verbinden. Aus diesem geistigen, politischen und religiösen Nährboden stammt Papst Franziskus. Er arbeitet mit an der Befreiung der Menschen, weil das Evangelium „das Leben in Fülle“ ankündigt. Deshalb ist er aber kein Befreiungstheologe. Ich halte es auch für falsch, den Papst mit dem Stempel der Befreiungstheologie zu versehen. Der Papst versteht sich offenbar vielmehr als ein Brückenbauer zwischen verschiedenen theologischen Strömungen im Gottesvolk. Er will keine Einheitstheologie durchsetzen, wie wir es in den vergangenen 40 Jahren erlebt haben. Ich halte es aber für richtig, wenn endlich mit der Verdächtigung, Verurteilung und Bekämpfung der Befreiungstheologen Schluss gemacht wird.