„Jerusalem lässt sich Extremismus nicht aufzwingen“

„Jerusalem lässt sich Extremismus nicht aufzwingen“

Trotz eines tödlichen Anschlags auf eine Synagoge in Jerusalem ist die Mehrheit der Stadtbevölkerung zuversichtlich, dass es zu keiner Eskalation kommt. Davon ist auch der Pressesprecher der Dormitio-Abtei in Jerusalem, P. Nikodemus Schnabel, überzeugt. Im Interview mit Radio Vatikan sagt er, dass es momentan eine Mischung aus religiösen und politischen Konflikten zwischen Israelis und Palästinensern gebe.

Erstellt: 19.11.2014
Aktualisiert: 12.07.2015
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Trotz eines tödlichen Anschlags auf eine Synagoge in Jerusalem ist die Mehrheit der Stadtbevölkerung zuversichtlich, dass es zu keiner Eskalation kommt. Davon ist auch der Pressesprecher der Dormitio-Abtei in Jerusalem, P. Nikodemus Schnabel, überzeugt. Im Interview mit Radio Vatikan sagt er, dass es momentan eine Mischung aus religiösen und politischen Konflikten zwischen Israelis und Palästinensern gebe.

„Aber ich habe in den letzten Tagen die positive Erfahrung machen können, dass die Leute sich dieses Religiöse nicht aufzwingen lassen. Wenn wir zurückschauen auf den Sommer und auf den Gaza-Konflikt, sehen wir, dass beide Gesellschaften elektrisiert waren. Da ging es um die zentralen Fragen: Für Israel ging es um die Frage nach Sicherheit und für die Palästinenser um das Thema Freiheit.“

Auf beiden Seiten gibt es extremistische Gruppen, die etwa jeweils 15 Prozent sowohl bei den Israelis als auch bei den Palästinensern ausmachten, so P. Nikodemus Schnabel.

„15 Prozent der Juden und 15 Prozent der Muslime hier wollen also diesen Konflikt weiterführen und religiös überhöhen. Da geht es also nicht mehr um Sicherheit und Freiheit, jetzt geht es auf einmal um Gott. Das ist natürlich ein ganz anderes Thema. Doch da erlebe ich – außer bei diesen Extremisten – dass die Mehrheit der Gesellschaft sagt: Nein, danke! Deswegen bin ich optimistisch. Jetzt ist die Aufgabe der Politiker und Religionsführer, klar zu machen, dass man keine Lust hat, Religion für Gewalt zu missbrauchen.“

Mindestens sechs Menschen sind am Dienstag beim Anschlag auf die Jerusalemer Synagoge ums Leben gekommen. Israelische Medien berichteten, dass zwei Angreifer auf jüdische Betende mit Messern und Äxten losgingen. Herbeigerufene Polizisten hätten die beiden offenbar muslimischen Täter nach einem kurzen Feuergefecht getötet.

Patriarch Twal gegen Gewaltspirale

Zur raschen Beendigung der „unendlichen Spirale der Gewalt“ ruft der lateinische Patriarch von Jerusalem, Fouad Twal, nach dem Anschlag auf die Synagoge in Jerusalem am Dienstag auf. Bestehende Probleme zwischen Israel und seinen Nachbarstaaten müssten endlich gelöst werden. Es gelte, die Ursachen der Verzweiflung zu bekämpfen, die zu Gewalt führe, so der Patriarch am Dienstag in einer Stellungnahme gegenüber dem vatikanischen Nachrichtendienst „Fides“. Die nun verschärften Sicherheitsmaßnahmen und Straßenblockaden könnten den Menschen vor Ort niemals ein angstloses Leben in Freiheit und Würde ermöglichen.

Die politischen Wogen nach dem Attentat gingen noch am Dienstagvormittag hoch: Der israelische Präsident Benjamin Netanjahu machte sowohl die Hamas als auch die Palästinenserbehörde für das Attentat verantwortlich. Er kündigte eine israelische Antwort auf das Attentat an und berief eine Sicherheitsberatung ein, nach der eine Erleichterung für das Tragen von Waffen „zur Selbstverteidigung“ für alle Personen mit Waffenschein angekündigt wurde.

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verurteilte indes die „Tötung von Betenden in einer Synagoge und alle Akte der Gewalt, gleich, woher sie kommen“. Zugleich verlangte er am Dienstag in Ramallah ein Ende der „Provokationen durch Siedler“ vor der al-Aqsa-Moschee.

Papst verurteilt Gewalt in Jerusalem

Papst Franziskus verurteilte die Gewalt im Heiligen Land und mahnte zum Frieden. Die Lage sei geprägt von nicht hinnehmbaren Gewalttaten, die nicht einmal vor religiösen Kultstätten haltmachten, sagte Franziskus am Mittwoch bei seiner Generalaudienz auf dem Petersplatz. Allen Opfern dieser Anschläge und deren Folgen sicherte er sein Gebet zu.

Schon seit Wochen sind die Zutrittsbedingungen zu den islamischen Heiligtümern auf dem Tempelberg Gegenstand andauernder Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Juden. Nach jüngsten Ausschreitungen war die Spannung angewachsen, nachdem in der Nacht auf Montag die erhängte Leiche eines palästinensischen Busfahrers aufgefunden worden war. Eine Obduktion hatte Berichten zufolge den ersten Vermutungen eines Selbstmordes widersprochen. (Radio Vatikan/KNA)