Letzte Versuche auf der Zielgerade
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Letzte Versuche auf der Zielgerade

Brasiliens Wahrheitskommission zur Untersuchung von Menschenrechtsvergehen zwischen 1946 und 1988 soll Mitte Dezember ihren Abschlussbericht an Staatspräsidentin Dilma Rousseff übergeben. Wenig Zeit bleibt, doch noch einen großen Wurf zu landen und bislang unbekanntes Beweismaterial über Verbrechen während der Militärdiktatur im Land (1964-1985) zu finden. Der Kommission droht eine bittere Erkenntnis: Ohne die Kooperation der Streitkräfte geht bei der Wahrheitssuche praktisch nichts.

Erstellt: 15.08.2014
Aktualisiert: 12.07.2015
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Brasiliens Wahrheitskommission zur Untersuchung von Menschenrechtsvergehen zwischen 1946 und 1988 soll Mitte Dezember ihren Abschlussbericht an Staatspräsidentin Dilma Rousseff übergeben. Wenig Zeit bleibt, doch noch einen großen Wurf zu landen und bislang unbekanntes Beweismaterial über Verbrechen während der Militärdiktatur im Land (1964-1985) zu finden. Der Kommission droht eine bittere Erkenntnis: Ohne die Kooperation der Streitkräfte geht bei der Wahrheitssuche praktisch nichts.

„Wenn die Streitkräfte mehr Bereitschaft zur Kooperation mit der Wahrheitskommission zeigen würden, könnten wir viel weiter kommen.“ Kommissionsmitglied Pedro Dallari zeigte sich zu Wochenbeginn bei einer öffentlichen Anhörung enttäuscht. Vor der Kommission schilderten zwei ehemalige Untergrundkämpfer der sogenannten Araguaia-Gruppe, wie sie von den Militärs gefoltert wurden. Drei geladene Militärs, darunter der für seine Brutalität berüchtigte sogenannte „Major Curio“, blieben der Anhörung fern.

Kaum Informationen über die Verbrechen

In der Araguaia-Region im Norden Brasiliens war das Militär gnadenlos gegen eine Gruppe von 70 Oppositionellen vorgegangen. Man geht davon aus, dass die Guerillakämpfer gefoltert, ermordet und ihre Leichen in Wälder und Flüsse geworfen wurden. Das Schweigen der Militärs hat bislang eine Bergung der Leichen unmöglich gemacht. Rund 400 Menschen sollen während der Diktatur von den Militärs ermordet worden sein – doch es gibt kaum Informationen zu den Fällen. Wichtige Archive würden immer noch versteckt, glaubt die Kommission.

Letztlich kann die Wahrheitskommission niemanden zur Mitarbeit zwingen – genauso wenig wie sie richten und verurteilen kann. Dallari stellte zum wiederholten Mal klar, worum es der im Mai 2012 von Präsidentin Rousseff ernannten Kommission und ihren sieben Mitgliedern geht: „die Aufklärung von wichtigen Ereignissen unserer Geschichte“. Wieso Brasiliens Militär dabei nicht kooperiere, sei für ihn unverständlich.

Immerhin gelang es der Kommission im Frühjahr erstmals, das Militär zu einer Teilkooperation zu bewegen. Die Streitkräfte erklärten sich bereit, Vorwürfen nachzugehen, denen zufolge in militärischen Einrichtungen gefoltert und gemordet worden sei. Anders als die Kommission entdeckte die interne Untersuchungsgruppe der Militärs jedoch keinerlei Hinweise für solche Verbrechen.

Kommission erhöht Druck auf Streitkräfte

Nun legte die Kommission daraufhin neue Dokumente über das Verschwinden von Raul Amaro Nin vor. Der Aktivist wurde nach Angaben der Kommission im August 1971 in einem Militärkrankenhaus in Rio de Janeiro gefoltert und ermordet. Das Untersuchungsgremium legte im Dezember 2013 auch die Namen von 17 Militärs vor, die für die Ermordung verantwortlich seien. Dallari forderte die Armee nun auf, Einsicht in ihre ergebnislose interne Untersuchung zu gewähren.

Das ist schon Teil ihrer Schlussoffensive, mit der die Kommission in den letzten verbleibenden Wochen noch einmal Druck auf die Streitkräfte ausüben will. Mit Hilfe öffentlicher Debatten, Interviews von Kommissionsmitgliedern und Pressemitteilungen will man den Militärs offenbar eine öffentliche Entschuldigung für die Verbrechen während der Diktatur abtrotzen. Aufgrund mangelnder eigener Erfolge bei der Auffindung neuer Beweise wäre eine offizielle Note der Militärs wohl die Krönung der schleppend verlaufenen Kommissionsarbeit.

„Es ist an der Zeit, dass die Militärs ein für alle Mal einen Schlusspunkt unter diese Geschichte setzen“, so Dallari. Kooperiere das Militär beim Prozess der „nationalen Versöhnung“, so sei ihr „der Respekt der ganzen Gesellschaft“ sicher. Bis 10. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, haben die Streitkräfte noch Zeit, ihre Meinung zu ändern. Da sie jedoch in den vergangenen 40 Jahren geschwiegen und Tatsachen verdunkelt haben, ist nun eher nicht damit zu rechnen, dass sie sich jetzt noch zu einem Schuldgeständnis drängen lassen.

Von Thomas Milz

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