Steinbach: Der Sturz Assads ist essenziell für die Entmachtung der islamistischen Milizen. Nur weil Assad bislang an der Macht geblieben ist, haben sich machtfreie Räume gebildet, in die IS eindringen konnte. Von dort aus wirkte sie wieder in den Irak hinein. Im Irak hat der Westen nicht darauf geachtet, dass sich das Regime nach dem Rückzug der Amerikaner demokratisiert. Anstatt die verschiedenen ethnischen, religiösen und politischen Gruppen in einer Form von demokratischem Regime einzufangen, hat Ministerpräsident Nuri al Maliki eine Art schiitische Diktatur errichtet. Genau gegen dieses Regime wendet sich die Organisation IS.
Frage: Die IS-Terroristen scheinen nun wirklich nichts mehr mit einem barmherzigen Islam zu tun zu haben. Steckt der Islam heute in einer Krise?
Steinbach: Solche Organisationen haben zwar mit den Islam nichts zu tun, sind aber symptomatisch für eine Krise dieser Religion. Im Kern geht es um die Frage nach der Trennung von Religion und Politik. Der Islam ist in den letzten Jahrzehnten so schamlos und brutal ausgebeutet und instrumentalisiert worden, dass es stabile Neuordnungen nur geben kann, wenn der Islam aus dem politischen System weitgehend ausgeblendet wird. Das ist eine der ganz großen Errungenschaften der tunesischen Verfassung vom Februar. Daher könnte sie ein Modell für Verfassungen in anderen arabischen Ländern werden. Und möglicherweise sogar darüber hinaus.
Frage: Die Christen im Irak, aber auch in Syrien fliehen zu einem großen Teil in die kurdischen Gebiete. Haben sie Aussicht auf Rückkehr?
Steinbach: Die kurdische Region im Norden des Iraks kann kein Schlupfloch für die Christen sein. Viele Christen haben nicht vergessen, welche Rolle die Kurden beim Genozid an den Armeniern 1915 gespielt haben. Wenn nun viele Christen in die kurdischen Gebiete fliehen, tun sie das gegen ihr Herz und nur, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt. Die Frage, ob Christen in arabischen Ländern bleiben können, hängt davon ab, ob es langfristig Regierungen gibt, die alle gesellschaftlichen und konfessionellen Gruppen integrieren. Im Irak bin ich insofern optimistisch, weil sich hier zeigt, dass es sowohl auf kurdischer wie auch auf arabischer Seite vernünftige Kräfte gibt, die bei allen Differenzen einen Modus des Zusammenlebens suchen.
Von Claudia Zeisel