Kräutler selbst meint, er habe damals nur seinen Job als Bischof gemacht: Er sei bei den Menschen gewesen, die ihn am meisten brauchten. Und die lohnten es ihm auf ihre Weise, scharten sich um ihn und schrien: „Lasst ihn los – er ist unser Bischof!“ Das war, so sagt er rückblickend, „für mich wie eine zweite Bischofsweihe“. 1987 wurde er bei einem mysteriösen Autounfall schwer verletzt – in einer Zeit, in der sich als CIMI-Präsident bei der verfassungsgebenden Versammlung dafür einsetzte, die Rechte der Indigenen in der neuen Verfassung zu verankern – was ihm auch gelang, gegen alle Anfeindungen.
„Ja, ich träume immer noch!“
Der Kampfeswille ist weiter da, die Empörung über Menschenrechtsverletzungen, soziale Missstände und das Riesenstaudammprojekt am Xingu-Fluss, durch das Zehntausende Menschen ihren Lebensraum zu verlieren drohen und das unübersehbare Folgen für die Umwelt zeitigen dürfte. Auch ein Gefühl der Ohnmacht ist manchmal da. Und doch sagt er: „Ja, ich träume immer noch“ – von einer gerechten und solidarischen Welt. Dafür zitiert Kräutler seinen Freund, Erzbischof Dom Helder Camara (1909–1999): „Wenn einer allein träumt, ist es nur ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, ist das der Anfang einer neuen Wirklichkeit.“
1985, als „Dom Erwin“ erstmals bei Johannes Paul II. im Vatikan war, seufzte der Papst über der Landkarte mit Kräutlers Diözese: „Zu groß!“. Und über die Zahl seiner damals 16 Priester: „Zu wenige!“ Heute sind es 26 – für eine inzwischen 15 Mal größere Zahl von Katholiken. Immerhin: Kräutler soll nun Pläne für eine Dreiteilung der Diözese vorlegen.
Mit seinem 75. Geburtstag muss er gemäß dem Kirchenrecht dem Papst seinen Amtsverzicht anbieten. „So kann es sein, dass ich gleich drei Nachfolger bekomme – damit käme ich ins Guinness-Buch der Rekorde.“ Arbeitslos wird Kräutler so oder so niemals werden. Unter anderem hat ihm Papst Franziskus angetragen, an
dessen geplanter Umweltenzyklika mitzuarbeiten
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Von Alexander Brüggemann