Sechs Holocaust-Überlebende wurden ihm persönlich vorgestellt. Männer und Frauen. Alle über 80 Jahre. Alle haben selbst die Konzentrationslager überlebt, jedoch viele Angehörige verloren. Franziskus verneigte sich vor jedem von ihnen und küsste ihnen die Hand, wechselte einige Worte.
„Ein Übel ist über uns gekommen, wie es unter dem ganzen Himmel noch nie geschehen ist“, zitierte der Papst in seiner meditativen Ansprache den Propheten Baruch. Wie war eine solche unermessliche Tragödie möglich? Wie konnte der Mensch solche Verbrechen gegen Mitmenschen verüben, zu solchen Gräueln fähig sein, fragte er. Und weiter: „Wer bist du, o Mensch, wer bist du geworden? Was hat dich so tief fallen lassen?“ Nun aber möge Gott unser Gebet und unser Flehen erhören und uns um seiner Barmherzigkeit willen erretten, fuhr Franziskus fort. „Gib uns die Gnade, uns zu schämen für das, was wir als Menschen zu tun fähig gewesen sind, uns zu schämen“. Und er mündete in den Ruf: „Niemals mehr, o Herr, niemals mehr!“
Gebet und Meditation in Yad Vashem
Beließ es Papst Franziskus bei seinem Besuch in Yad Vashem bei einem Gebet und einer Meditation, so hatte er sich bei seiner Ankunft in Israel am Vortag ausführlicher zum Holocaust geäußert. Er verwies auf die sechs Millionen jüdischen Opfer der Schoah: „eine Tragödie, die ein Symbol dafür bleibt, wie weit die Ruchlosigkeit des Menschen gehen kann, wenn er, durch falsche Ideologien angestiftet, die grundlegende Würde eines jeden Menschen vergisst“. Dem Menschen gebühre aber eine „absolute Achtung“, gleich welchem Volk oder welcher Religion er angehöre, so Franziskus. Er bete zu Gott, dass „ein solches Verbrechen, dem auch viele Christen und andere zum Opfer gefallen sind, niemals mehr geschehe“. Mit Nachdruck verurteilte er dabei jede Form von Antisemitismus.
Solch konkrete Aussagen wiederholte der Papst bei seinem Besuch in Yad Vashem nicht mehr. Dort beschränkte er sich auf das Gebet, auf die Zwiesprache mit Gott und auf die Schuldhaftigkeit des Menschen. Ähnlich hatte auch Benedikt XVI. bei seinem Besuch vor fünf Jahren zwischen Gebet und Meditation an der Gedenkstätte selbst und weiterführenden Aussagen an anderer Stelle unterschieden. Allerdings beanstandeten damals mehrere Rabbiner, der Papst hätte auch in Yad Vashem ausdrücklich an die sechs Millionen ermordeten Juden erinnern sollen.
Von Johannes Schidelko