
Grünes Patriarchentreffen
Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel (74) hat am Wochenende in Stuttgart seinen zehntägigen Deutschlandbesuch begonnen. Im Neuen Schloss hielt das Ehrenoberhaupt aller orthodoxer Christen weltweit am Samstag eine Grundsatzrede über Umweltschutz: Die Welt befinde sich „vor dem Abgrund einer ökologischen Katastrophe“.
Aktualisiert: 12.07.2015
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Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel (74) hat am Wochenende in Stuttgart seinen zehntägigen Deutschlandbesuch begonnen. Im Neuen Schloss hielt das Ehrenoberhaupt aller orthodoxer Christen weltweit am Samstag eine Grundsatzrede über Umweltschutz: Die Welt befinde sich „vor dem Abgrund einer ökologischen Katastrophe“.
Der Mensch greife „ständig durch unbesonnene Handlungen todbringend in die Harmonie der Schöpfung“ ein und habe so die ökologische Krise verursacht. Ursache der Umweltkatastrophe sei Egozentrismus. Der Mensch werde „täglich gefährlicher für sich selbst, für seine Mitmenschen aber auch für seine Umwelt“.
Eine Ehreneskorte mit drei Motorrädern an der Spitze hatte die zehn Autos umfassende Wagenkolonne des Patriarchen vom Flughafen in die Innenstadt begleitet. Dort wurde der sichtlich gut aufgelegte Bartholomaios I. von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) begrüßt. Dass Bartholomaios I. häufig als „grüner Patriarch“ bezeichnet werde, könne er, so Kretschmann bei seiner Begrüßung, als bislang einziger deutscher grüner Ministerpräsident „nur als höchstes Lob verstehen“. Nach Stuttgart eingeladen hatte Kretschmann Bartholomaios I. bei einem Türkei-Besuch 2012. Aus dem Umfeld des Ministerpräsidenten heißt es, dass die persönliche Chemie zwischen den beiden sehr gut sei.
Im Neuen Schloss nutzte Kretschmann die Gelegenheit, den Umgang des türkischen Staates mit der orthodoxen Minderheit im Land zu kritisieren. So sei das Seminar von Chalki, früher wichtigste theologische Ausbildungsstätte des Patriarchats von Konstantinopel und 1971 vom Staat geschlossen, bis heute nicht wieder eröffnet worden. Von lange anhaltendem Applaus begleitet betonte Kretschmann, zur freiheitlichen Gesellschaft gehöre religiöse Vielfalt. Der Weg der Türkei nach Europa sei offen. Es gelte aber, die Grundwerte der Europäischen Union umzusetzen. Das war vermutlich eine bewusste Spitze gegen den türkischen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, dass Kretschmann ergänzte, Staatspräsident Abdullah Gül habe offenbar Verständnis für eine solche Sicht der Dinge.
Treffen mit der Deutschen Bischofskonferenz, Joachim Gauck und Angela Merkel
Bartholomaios I. reiste am Sonntagabend nach Frankfurt. Von dort aus fährt der Patriarch dann weiter nach Bonn, wo ein Treffen mit der katholischen Deutschen Bischofskonferenz vorgesehen ist. Der politische Höhepunkt der Reise steht am Mittwoch in Berlin an, wenn Bartholomaios I. Bundespräsident Joachim Gauck, Bundestagspräsident Norbert Lammert und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) trifft. Die Schlussstation heißt München. Anlass des Besuchs ist das 50-Jahr-Jubiläum der griechisch-orthodoxen Metropolie in der Bundesrepublik. Zu ihr zählen rund 500.000 Christen. Die zunächst für 2013 geplante Visite war wegen Terminproblemen im Zusammenhang mit dem Bundestags-Wahlkampf verschoben worden.
„Der Mensch wird täglich gefährlicher für sich selbst, für seine Mitmenschen aber auch für seine Umwelt.“
Bartholomaios I. ist als griechisch-orthodoxer Patriarch von Konstantinopel der 270. Nachfolger des Apostels Andreas und trägt den Titel „Ökumenischer Patriarch“. Die Rolle als Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie mit rund 300 Millionen Mitgliedern ist allerdings mit keinerlei rechtlichen Befugnissen über die nationalen Kirchen anderer Länder verbunden. Die Türkei erkennt weder den Titel des Ökumenischen Patriarchen noch eine gesamtorthodoxe Aufgabe des Patriarchates an.
Gesprächspartner im interreligiösen Dialog
Sie sehen in ihm nur den obersten Seelsorger der wenigen in der Türkei verbliebenen griechisch-orthodoxen Christen. Während deren Zahl weiter sinkt, sind dem Patriarchat direkt 3,5 Millionen Christen in Teilen von Griechenland sowie in der Diaspora in Nord- und Südamerika, Mittel- und Westeuropa sowie in Australien unterstellt.
So kamen auch eine ganze Reihe orthodoxer Bischöfe nach Stuttgart, um den seit 1991 amtierenden Patriarchen zu sehen und zu hören. Vertreter des Judentums und der Muslime nahmen ebenfalls an dem Empfang teil – nicht zuletzt, weil der promovierte Kirchenrechtler, der sieben Sprachen fließend spricht, seit Jahren als vertrauenswürdiger Gesprächspartner im interreligiösen Dialog gilt. Die katholische und die evangelische Kirche waren durch die Bischöfe Gebhard Fürst, Frank Otfried July und Ulrich Fischer vertreten. Allesamt konnten sie erleben, wie ein Patriarch über Umweltpolitik und ein Ministerpräsident über christlichen Glauben sprach.
Von Michael Jacquemain