Ein weiteres Problem sei der Umgang des Militärs mit der Krise: „Obwohl seit einem Jahr Ausnahmezustand herrscht, das Militär im Nordosten des Landes vorgeht und es viele blutige Gefechte gibt, kann man trotz allem nicht erkennen, dass Boko Haram signifikant geschwächt ist.“ Stattdessen nähmen die Angriffe und Anschläge zu.
Bis zu ein Viertel des Staatshaushaltes wird mittlerweile laut offiziellen Zahlen – inoffiziell könnte das noch mehr sein – für den Kampf gegen den Terror ausgegeben. Das Geld komme aber nicht vor Ort an, weiß Kamp zu berichten: „Unsere Partner vor Ort, die mit den Soldaten sprechen, berichten von der Frustration der Soldaten, die schlecht ausgebildet und ausgestattet sind. Die Frage ist also, wo die ganzen Milliarden hinfließen, wenn sie denn nicht vor Ort eingesetzt werden.“ Da stehen die staatlichen und militärischen Stellen am Pranger. Es gebe viele Klagen im Land, dass vor allem Militärs die Krise zur eigenen Bereicherung nutzen und um die politische Rolle des Militärs zu stärken.
Die Lösung liegt bei der politischen Klasse des Landes
Dass jetzt mit einer internationalen Konferenz mehr Scheinwerferlicht auf die Situation des Landes geworfen wird, sei eher kein neuer Anstoß für eine Lösung des Konfliktes, meinte Kamp. „Nigeria ist durch die Öleinnahmen relativ unabhängig und offiziell die stärkste Wirtschaftsmacht auf dem afrikanischen Kontinent. Man hat ein hohes Selbstbewusstsein. Die politische Klasse ist sehr gefestigt und bedient sich fleißig bei den Geldern, die aus den Ölressourcen kommen. Ich glaube, da darf man die internationale Dimension nicht überbewerten.“
„Ich glaube, dass es primär darum geht, dass die Nigerianer und die nigerianische politische Klasse sich den Herausforderungen stellt und Antworten findet“, sagte Kamp. Eine Möglichkeit dazu sei eine große Nationalkonferenz, die das Land veranstalte, „da kommen 500 Menschen zusammen, um die großen Fragen Nigerias zu klären.“ Einheit, Stabilität und bessere Verteilung des Wohlstandes seien die wichtigsten Themen dabei. „Da gibt es Hoffnung, dass sich grundsätzliche Veränderungen in der politischen Landschaft und politischen Kultur ergeben. Inwieweit sich die politische Elite darauf einlässt oder das blockiert, das bleibt abzuwarten.“
Welche Perspektive hat das Land?
Im Augenblick sehe es allerdings konkret eher nach einer Zunahme der Gewalt aus, schätzt Mathias Kamp die Lage in Nigeria ein. Schließlich sei eine Terrorgruppe am Werk: „Die Boko-Haram-Krise bezieht sich ja nicht auf Gewalt, die zwischen Muslimen und Christen an sich stattfindet. Die Frage ist jetzt, wie sich dieser Terrorismus langfristig auswirkt.“ Vor Ort wachse das Misstrauen, wo Muslime und Christen zusammen lebten. Die Frustration steige und dadurch könne sich ein erhöhtes Konfliktrisiko ergeben – auch zwischen den religiösen Gemeinschaften.
„Im Moment gibt es viele Bestrebungen, den Dialog nicht abbrechen zu lassen. Katholische Bischöfe treffen sich mit Sultanen und Imamen. Es gibt diverse Initiativen auf allen Ebenen, weiter den Dialog zu führen und Christen und Muslime zusammenzubringen. Man sagt, dass man es nicht erlauben dürfe, dass der Terror von Boko Haram uns entzweit“, so Kamp. Der Terror fordere unter den Muslimen mehr Opfer als unter den Christen. Hier müsse man klarstellen, dass es keinen Krieg von Muslimen gegen Christen gebe. Vielmehr habe man es mit Terror und politischen Faktoren zu tun.