Frage: Und das gerühmte Bildungssystem?
Gomez: Schulen sind auf Kuba der verlängerte Arm der Partei. Es geht dort primär um Ideologie und Gehorsam gegenüber staatlichen Autoritäten – was jeder Kubaner vom ersten Schultag an eingetrichtert bekommt. Und das viel gepriesene „kostenlose Schulessen“, von dem immer wieder die Rede ist, besteht in Wirklichkeit aus gestrecktem Maisbrei und gezuckerten Bohnen, damit es überhaupt genießbar ist. Hinzu kommen lächerliche Lehrergehälter von umgerechnet 20 Euro monatlich – bei Preisen weit höher als bei Ihnen im Westen. Bekanntlich gibt es auf Kuba ein Zwei-Währungs-System. Das heißt, wichtige Gebrauchsgüter für den Alltag gibt es nur gegen harte Devisen.
Frage: Wie sieht es mit der
Religionsfreiheit
aus?
Gomez: Die neue Toleranz des Regimes in religiösen Dingen ist vor allem taktisch motiviert. Wir Kubaner sind, wie die meisten Lateinamerikaner, traditionell religiös verwurzelt und katholisch. Das weiß die Regierung. Und sie hat erkannt, dass sie an der katholischen Kirche nicht vorbeikommt – weil sie eine gesellschaftliche Macht ist, die bei weiten Teilen der Bevölkerung hohes Ansehen genießt. Der katholische Klerus ist bei uns auch international gut vernetzt. Das fürchten die Offiziellen – und setzen daher im eigenen Interesse auf Diplomatie statt auf Konfrontation. Der Besuch von Papst Benedikt XVI. vor zwei Jahren hat Meilensteine für einen gesellschaftspolitischen Wandel gesetzt, die die Regierung nicht mehr ausreißen kann. Allein die desolate Wirtschaftslage lässt dem Regime keine andere Wahl. Es geht längst um sein politisches Überleben.
Frage: Bis heute gibt es auf Kuba augenscheinlich keine nach außen hin erkennbare Oppositionsbewegung. Woran liegt das?
Gomez: Das ist ein Dilemma, das uns in der Tat zu schaffen macht. Offenbar sind wir Kubaner sehr leidensfähig. Aber im Ernst: Zurzeit gibt es knapp 150 oppositionelle Gruppen, die mal mehr und mal weniger politisch aktiv sind – je nachdem, wie groß der Druck durch Verhaftungen und andere Repressionen ist. Hinzu kommt, dass wir von ausländischer Unterstützung bislang weitgehend abgeschnitten waren, anders als die Bürger in Polen und in der DDR in den 80er Jahren, die zum Teil starke Partner im Westen hatten. Für eine effektive oppositionelle Massenbewegung bedarf es eines kollektiven Bewusstseins und natürlich auch medialer Unterstützung von außen, was auf Kuba praktisch unmöglich ist. Die von Florida aus betriebenen Oppositionssender sind nur in sehr begrenztem Maße in der Region um Havanna zu empfangen, und oft auch nur über Kabel in Hotels für zahlungskräftige Touristen. Hoffnung setze ich langfristig auf das Internet, obwohl die meisten Kubaner noch immer keinen Zugang dazu haben.