Ohne Lobby, Land und Rechte
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Ohne Lobby, Land und Rechte

Chiles Präsidentin Michelle Bachelet setzt ein erstes Zeichen. Der von ihr entsandte neue Gouverneur Francisco Huenchumilla bat am Donnerstag (Ortszeit) die Mapuche in der Region Araukanien im Namen des Staates um Entschuldigung für die „Ausplünderung ihres Landes“. Huenchumilla, der selbst dem indigenen Volk Chiles angehört, erklärte, nach 130 Jahren sei es an Zeit, die Region aus der Armut zu holen.

Erstellt: 14.03.2014
Aktualisiert: 12.07.2015
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Chiles Präsidentin Michelle Bachelet setzt ein erstes Zeichen. Der von ihr entsandte neue Gouverneur Francisco Huenchumilla bat am Donnerstag (Ortszeit) die Mapuche in der Region Araukanien im Namen des Staates um Entschuldigung für die „Ausplünderung ihres Landes“. Huenchumilla, der selbst dem indigenen Volk Chiles angehört, erklärte, nach 130 Jahren sei es an Zeit, die Region aus der Armut zu holen.

Die Mapuche machen immer wieder und doch zu wenig Schlagzeilen. Hungerstreiks, Straßenblockaden, das sind ihre Waffen gegen die Entrechtung. Waffen, gegen die die Behörden noch schärfere bereithalten: Gesetze zur Terrorbekämpfung; Verhaftung ohne Begründung, Zulassung anonymer Zeugenaussagen, Aburteilung durch Militärgerichte.

In Quepe, einige Kilometer südlich von Temuco, ist die Stimmung zum Zerreißen gespannt. Die Dorfversammlung ist aufgebracht. Fünf Loncos, Ortsvorsteher von Mapuche-Gemeinden, führen das Wort. „Sie bauen einen Flughafen auf unserem Land – und sie haben uns nicht mal vorher gefragt. Sie machen alles kaputt – und uns sagen sie, wir seien Terroristen?“ Lonco Mario Lemunir ist nicht mehr zu bremsen. „Egal ob die Regierungen von rechts oder von links kommen: Sie haben immer ihre Versprechen gebrochen. Das sage ich in alle vier Winde!“

Widerstand der Mapuche

Bei den Mapuche fließt der Widerstand buchstäblich durch die Adern. Sie waren das einzige indigene Volk, das der spanischen Eroberung dauerhaft standhielt und der Krone einen Status quo abrang. In den 1860er Jahren begann die Entrechtung: Einmarsch der chilenischen Armee, Enteignung, Niedergang der eigenen Traditionen und Sprache, des Mapugundun. Erst seit einigen Jahren beginnt eine Neubesinnung auf die eigene Kultur und Identität.

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Die Rechtsgrundlagen des Landkonflikts sind über die Jahrzehnte sehr komplex geworden. Auswärtige Siedler und Großgrundbesitzer, unter Salvador Allende ihrerseits enteignet und entschädigt; Großunternehmen; die öffentliche Hand: Viele, teils nach chilenischen Gesetzen durchaus legale Ansprüche konkurrieren mit denen der Mapuche. Inzwischen dürfen die Ureinwohner nicht mal mehr Wasser aus den Bächen entnehmen, die durch ihr Land fließen. Fast alle Wasserrechte wurden während der Diktatur an Konzerne vergeben. „Demnächst werden sie auch noch die Luft privatisieren“, schimpft Lonco Mario Lemunir.

Die katholische Kirche, einst treue Begleiterin der spanischen Staatsmacht, hat sich im Menschenrechtskonflikt seit langem deutlich auf die Seite der Mapuche gestellt. Kirchenmitarbeiter sind wichtige Vertrauens- und Gewährsleute für die Indigenen – und haben ihrerseits teils dicke Polizeiakten, weil sie in Kontakt mit potenziellen „Terroristen“ stehen. Chiles Primas Kardinal Ricardo Ezzati sagt: „Die Mapuche-Kultur hat zwei Herzen: das der Harmonie mit der Natur – und das der Radikalisierung“. Es sei ein politischer Irrtum, wenn der Staat immer nur auf die gewaltbereite Seite reagiere.

„Demnächst werden sie auch noch die Luft privatisieren.“

—  Zitat: Lonco Mario Lemunir

Explosive Mischung

Stolz, Verzweiflung und Widerstandsgeist werden zu einer explosiven Mischung – zumal wenn jede Form des Protests auf eine noch stärkere Reaktion seitens des Staates trifft. In der Comunidad Francisco Huenchunir bei Quepe rückte im März 2013 im Morgengrauen die Polizei mit Maschinenpistolen ein. Drei Männer wurden unter dem Vorwurf verhaftet, einen LKW angezündet zu haben, erzählen die Bewohner wütend.

„Vor den Augen meiner Söhne haben sie unser Essen ausgeschüttet und mich mitgenommen“, schimpft Ortsvorsteher Jorge Painebilo: „Wir sind keine Terroristen. Wir sind Landarbeiter ohne Land.“ Ob sie sich denn vorstellen könnten, selbst Gewalt gegen die Unterdrücker anzuwenden?

„Wir sind eine Gemeinde im Widerstand“, antwortet Braulio Neculman martialisch. In der Pose eines Che Guevara lehnt sich der junge Mann an die Wand der Hütte und referiert, eine Hand in der Hosentasche, über Geschichte und Gegenwart der Verletzungen, die seinem Volk angetan wurden. „Gewalt? Vielleicht werden wir dazu gezwungen sein, in 50 Jahren ...“ Doch die Art, wie er spricht, verheißt nichts Gutes. Chiles neue Regierung hat viel zu tun, wenn sie die Wut tatsächlich kühlen will.

Von Alexander Brüggemann

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