„Franziskus stellt die Kirche vom Kopf auf die Füße“
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„Franziskus stellt die Kirche vom Kopf auf die Füße“

Seit einem Jahr leitet Papst Franziskus die Weltkirche. Dass ein Argentinier nun an der Spitze der katholischen Kirche steht, freut insbesondere das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat. Im Interview spricht Adveniat-Hauptgeschäftsführer Prälat Bernd Klaschka über ein außergewöhnliches Pontifikat.

Erstellt: 13.03.2014
Aktualisiert: 12.07.2015
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Seit einem Jahr leitet Papst Franziskus die Weltkirche. Dass ein Argentinier nun an der Spitze der katholischen Kirche steht, freut insbesondere das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat. Im Interview spricht Adveniat-Hauptgeschäftsführer Prälat Bernd Klaschka über ein außergewöhnliches Pontifikat.

Frage: Prälat Klaschka, seit einem Jahr ist der Papst vom anderen Ende der Welt im Amt, und die Herzen fliegen ihm aus ganz vielen unterschiedlichen Richtungen zu. Was macht die Faszination Franziskus’ Ihrer Meinung nach aus?

Klaschka: Schon als sich Papst Franziskus nach seiner Wahl auf der Loggia vorstellte, hatte ich den Eindruck, dass ihm die Herzen der Menschen zuflogen, die auf dem Petersplatz versammelt waren. Er begrüßte sie mit den einfachen Worten „Guten Abend!“ und verneigte sich vor ihnen. Damit zeigte er: Ich nehme euch ernst, ich bin euer Diener. Papst Franziskus hat die klaren Gesten durch das erste Jahr seines Pontifikats getragen und er lebt das vor, was er von den Menschen fordert. Das hat bei vielen Katholiken und Nichtkatholiken das Gefühl eines neuen Respekts vor der Kirche geweckt und seine Offenheit fasziniert die Menschen überall auf der Welt.

Frage: Was zeichnet sein Pontifikat bisher theologisch aus?

Bild: © Schmidt/Adveniat

Klaschka: Papst Franziskus folgt theologisch den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils . Er legt Wert darauf, dass die Kirche eine Gemeinschaft ist und dass alle Getauften und Gefirmten Kirche sind. Papst Franziskus stellt die Kirche vom Kopf auf die Füße. Er sagt: Die Getauften sind die Basis und die Amtsträger sind die Diener dieser Gemeinschaft. Insbesondere in seinem jüngsten Lehrschreiben gibt er dem Heiligen Geist sehr viel Raum in der Kirche und möchte die Türen wieder öffnen, dass Gottes Geist in unser Leben eintritt und unter uns wirken kann – und zwar spontan. Gottes Geist wirkt nämlich oft unkontrolliert. Dadurch kann auch Neues wachsen, und das schafft Kreativität.

Frage: Manche beklagen, dass Franziskus’ Gesten bisher wenig Taten folgen. Wird er die Kirche verändern?

Klaschka: In Deutschland müssen wir noch die Sprache der Gesten lernen. Das ist ein wesentlicher Beitrag aus Lateinamerika. Ich denke, die Entscheidung, die acht Kardinäle einzuberufen, war schon der erste Schritt hin zu einer großen Veränderung. Papst Franziskus möchte die Anliegen der Weltkirche zur Sprache bringen. Er möchte keine Entscheidung fällen, ohne sich vorher beraten zu lassen, das hat er gesagt. Auch das ist eine große Veränderung. Und er verankert die Kirche wieder in der Welt, damit sie kein umhertreibendes Schiffchen ist, sondern ein Dampfer, der die Botschaft Jesu geladen hat.

Frage: In Evangelii gaudium hat Papst Franziskus seine Vision von Kirche beschrieben. Was sind für Sie die Schlüsselstellen?

Klaschka: Papst Franziskus formuliert in der Tat so etwas wie eine geistliche Grundlage kirchlicher Erneuerung. In der Taufe werden wir Christen. Alle Christen – Laien, Priester und Bischöfe – haben die Verantwortung, das Evangelium durch Wort und Tat in der Welt zu verkünden und zu bezeugen. Jeder da, wo er ist: in der Familie, am Arbeitsplatz, unter Freunden, in der Pfarrei, aus seinem Lebenskontext heraus. Eine weitere Schlüsselstelle ist sein offenes Verständnis von Pastoral. Wir müssen eine pastorale Umkehr leben, näher bei den Menschen sein, in den Pfarreien, in den Basisgemeinden, Kleinen Christlichen Gemeinschaften und Bewegungen.

Papst Franziskus klagt außerdem die Missstände unserer Gesellschaft an, beispielsweise dass der Mensch, das Ebenbild Gottes, zur Ware geworden ist. Die Wirtschaftsstrukturen, die wir aufgebaut haben, verhelfen seiner Meinung nach nicht zum Leben, sondern diese Wirtschaft töte. Und er sagt deutlich, dass er erschrocken darüber ist, dass der Einbruch eines Aktienkurses mehr Schlagzeilen macht als der Tod eines Menschen. Papst Franziskus stellt den Menschen wieder in den Mittelpunkt.

Frage: Diese Kapitalismuskritik sorgte in Deutschland für Diskussionen – wie ist die lateinamerikanische Lesart?

Klaschka: Der Papst ist Argentinier. Er sieht die Welt aus der Perspektive der Menschen, denen er in Argentinien oder Lateinamerika begegnet ist. Das ist oftmals auch die Perspektive der Armen; derer, die schlechten Zugang haben zur Bildung und zum Gesundheitssystem. Menschen, die tagtäglich ums Überleben kämpfen. Diese Sichtweise ist nicht auf Gewinnmaximierung fokussiert, sondern darauf, jedem Menschen ein Leben in Fülle zu ermöglichen. Papst Franziskus betrachtet die Welt aus der Perspektive des Schuhputzers – von unten nach oben. Deshalb betont er unermüdlich, dass die Kirche an die Seite der Armen gehört.

Frage: Erstmals hat ein Papst zur Adveniat-Kollekte aufgerufen . Was bedeutet das für Sie?

Klaschka: Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass Papst Franziskus unser Anliegen unterstützt, die Weihnachtskollekte, hier in der Kirche von Deutschland, zu fördern. Er weist in seinem Grußwort darauf hin, dass Gott aus Liebe verrückt ist nach den Menschen. Sein Aufruf hat uns ermutigt, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen.

Frage: Was können wir noch von Papst Franziskus erwarten?

Klaschka: Ich glaube, dass Papst Franziskus die Kurienreform weiter vorantreibt und Entscheidungsinstanzen von Rom in die Ortskirchen verlegen wird, sodass Entscheidungen näher am Leben der Menschen ausgerichtet werden können. Abschließend möchte ich mich der Worte von unserer Projektpartnerin Paula Iramaín bedienen: „Unser Wunsch als Stimme der jungen Menschen in Buenos Aires ist, dass Papst Franziskus weiterhin diese kleine Revolution anführen möge und dass sie zu einer großen Revolution werde.“ Lasst uns gemeinsam für Wirbel sorgen in der Welt!

Das Interview führte Carolin Kronenburg.

Link-Tipp

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