Kikuchi: Die japanische Bischofskonferenz hat 2011 die gesamte katholische Gemeinschaft in Japan mobilisiert, um in der Katastrophenregion zu helfen. Am 16. März 2011 hat in Sendai ein Hilfszentrum der Diözese eröffnet, das seither Rehabilitationsprogramme für die Katastrophenopfer organisiert. Aktuell koordiniert es die Arbeit von acht kleineren Zentren in der Küstenregion. Diözesen aus ganz Japan und viele Männer- und Frauenorden senden regelmäßig Freiwillige in diese Zentren, die von der japanischen Caritas finanziert werden.
Frage: Was machen diese Freiwilligen konkret?
Kikuchi: Am Anfang haben die Freiwilligen bei den Aufräumarbeiten nach dem Tsunami geholfen. Inzwischen hat sich der Fokus ihrer Arbeit auf die psychologische Betreuung der Katastrophenopfer verlagert, von denen es einer Regierungsstatistik zufolge aktuell noch 270.000 gibt. Viele von ihnen wohnen wie gesagt in provisorischen Unterkünften, die ihnen die Regierung zur Verfügung gestellt hat. Katholische Freiwillige leiten in vielen dieser Häuser eine Art Café, in dem die Menschen zusammenkommen und ihre Geschichten austauschen können und in dem auch Raum für kreative Angebote ist. Viele der Menschen, die sich dort regelmäßig versammeln, sind alte Leute, die in der Katastrophe alles verloren haben.
Frage: Kann die Caritas bei ihren Hilfsmaßnahmen auf Unterstützung aus der Bevölkerung bauen?
Kikuchi: Man muss leider sagen: In vielen Regionen Japans hat man die Katastrophe von 2011 schon wieder vergessen. Deshalb versucht die katholische Kirche, die Erinnerung an den Tsunami wachzuhalten, indem sie in vielen Teilen Japans Vorträge von Freiwilligen organisiert, die in der Katastrophenregion geholfen haben. Wir brauchen dringend neue Freiwillige, um unsere Arbeit fortsetzen zu können. Am 10. März kamen auch wieder die meisten der katholischen Bischöfe in Japan zusammen, um in der Kathedrale von Sendai in einem Gottesdienst den dritten Jahrestag der Katastrophe zu begehen.
Frage: Wie ist derzeit die Haltung der Japaner zur Atomenergie?
Kikuchi: Kurz nach der Katastrophe sprachen sich die meisten Japaner gegen Atomenergie aus. Dann folgte die große Angst vor Energieknappheit und steigenden Preisen. Als die Regierung versuchte, die ersten Meiler wieder hochzufahren, hatte sich die öffentliche Meinung deshalb bereits verändert. Es stellte sich heraus, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung nicht bereit ist, seinen Lebensstil zu vereinfachen und auf Komfort zu verzichten.
Respekt muss man dem Weg zollen, den der frühere Premierminister Japans, Jun''ichiro Koizumi, gegangen ist. Während seiner Zeit als Premierminister war er ein großer Verfechter der Atomkraft, doch nach Fukushima hat sich seine Haltung komplett ins Gegenteil verkehrt. Nun befürwortet er es, alle Atomkraftwerke in Japan herunterzufahren. Weil sein politischer Einfluss noch immer groß ist, bleibt zu hoffen, dass seine Worte nicht ungehört bleiben.
Frage: Kurz nach dem Tsunami hat die japanische Regierung einen Atomausstieg bis 2040 verkündet. Nach Einwirkung der Wirtschaftslobby hat sie diese Pläne teilweise wieder eingeschränkt ...
Kikuchi: Es scheint, dass für die gegenwärtige japanische Regierung wirtschaftliche Interessen über dem Schutz menschlichen Lebens stehen. Ich bezweifle also, dass es die Regierung mit ihren Plänen ernst meint, bis 2040 aus der Atomenergie auszusteigen. Und das, obwohl immer noch unklar ist, was genau zurzeit in den beschädigten Atomreaktoren geschieht. Für Menschen ist es unmöglich, sie zu betreten, und weder die Regierung noch der Werksbetreiber verfügen über die Technologie, die Lage genauer zu inspizieren. Die Katastrophe sollte uns lehren, bescheidener zu sein, unsere menschlichen Grenzen zu erkennen und nach einem Leben im Einklang mit der Schöpfung zu streben.
Das Interview führte Markus Frädrich.
www.steyler-mission.de