„Wir haben das Vertrauen der Leute verloren“
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„Wir haben das Vertrauen der Leute verloren“

Der Mann, der die Risse kitten soll, ist seit mehr als 30 Jahren Priester. Diese seelsorgerische Erfahrung wird Luis Alfonso Coto brauchen, denn der neue Leiter des Menschenrechtsbüros im Erzbistum San Salvador weiß um die Schwere seine Aufgabe. „Ich bin ja erst seit ein paar Wochen im Amt“, sagt er mit ruhiger Stimme. „Aber man spürt deutlich, dass die Entscheidung des Erzbischofs Spuren hinterlassen hat.“ Coto bemüht sich nicht, die Folgen der Schließung der „Tutela Legal“ zu beschönigen: „Bislang hatten die Menschen in El Salvador uneingeschränktes Vertrauen zur Kirche.“ Nun sei bei vielen ein Vertrauensverlust zu spüren.

Erstellt: 11.02.2014
Aktualisiert: 12.07.2015
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Der Mann, der die Risse kitten soll, ist seit mehr als 30 Jahren Priester. Diese seelsorgerische Erfahrung wird Luis Alfonso Coto brauchen, denn der neue Leiter des Menschenrechtsbüros im Erzbistum San Salvador weiß um die Schwere seine Aufgabe. „Ich bin ja erst seit ein paar Wochen im Amt“, sagt er mit ruhiger Stimme. „Aber man spürt deutlich, dass die Entscheidung des Erzbischofs Spuren hinterlassen hat.“ Coto bemüht sich nicht, die Folgen der Schließung der „Tutela Legal“ zu beschönigen: „Bislang hatten die Menschen in El Salvador uneingeschränktes Vertrauen zur Kirche.“ Nun sei bei vielen ein Vertrauensverlust zu spüren.

Im vergangenen Jahr hatte Erzbischof Jose Luis Escobar Alas (54) das traditionsreiche und historische Menschenrechtsbüro geschlossen – ohne mit internationalen Geldgebern zu sprechen, ohne die betroffenen Mitarbeiter zu informieren und ohne im Vorfeld Andeutungen zu machen oder in den eigenen Reihen die Konsequenzen auszuloten.

Wütende Proteste gegen Schließung

Wütende Proteste der Bevölkerung waren die Folge. Denn in der „Tutela Legal“, das der 1980 mutmaßlich im Auftrag von rechten Todesschwadronen erschossene Erzbischof Oscar Arnulfo Romero gegründet hatte, befinden sich mehr als 55.000 Dokumente aus der Zeit des Bürgerkrieges (1980–1991): Zeugenaussagen, Fotos von Tatorten, Dokumente, Indizien, zusammengetragen von überwiegend armen Bürgern, die sich hilfesuchend an die Kirche wandten, um rechtlichen Beistand zu bekommen, den sie ansonsten niemals hätten bezahlen können.

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Binnen weniger Tage ging Erzbischof Escobar mit drei unterschiedlichen Begründungen für seine Entscheidung an die Öffentlichkeit. Das sorgte für Misstrauen und Furcht, dass die historisch wertvollen Dokumente verloren gehen könnten. Die Wucht der Entrüstung war so groß, dass sich der Erzbischof schließlich entschied, eine Neustrukturierung des Menschenrechtsbüros anzukündigen. Er werde zur Not sein Leben für den Schutz des Archivs geben, erklärte er.

Coto nimmt kein Blatt vor den Mund

Luis Alfonso Coto soll nun das verlorene Vertrauen zurückgewinnen. Er habe dem Erzbischof gesagt, dass er diese Aufgabe nur übernehme, wenn er so arbeiten könne, wie er es für richtig halte: „Dazu gehören Transparenz, Ehrlichkeit und Selbstkritik.“ Und Coto scheut auch vor Kritik an seinem eigenen Dienstherrn nicht zurück: „An der Art, wie das alles über die Bühne gegangen ist, hätte man sicher vieles besser machen können. Er hätte zum Beispiel seine Mitarbeiter im Haus fragen können.“

Um die Zukunft des Menschenrechtsbüros zu gestalten, sei nun dringend notwendig, die Dokumente zu ordnen, zu systematisieren und zu digitalisieren. „Wir laufen sonst Gefahr, dass irgendwann mal ein Verrückter kommt und hier ein Feuer legt – und dann ist alles verloren.“

Dass diese Gefahr kein Hirngespinst ist, hat die Nichtregierungsorganisation „por Busqueda“ ein paar Kilometer Luftlinie entfernt bereits zu spüren bekommen. Die Nichtregierungsorganisation, die sich um das Schicksal verschwundener Kinder aus der Zeit des Bürgerkriegs kümmert, bekam im November nächtlichen Besuch in ihrem Archiv. Unbekannte Täter hatten dort versucht, einen Teil der Dokumente zu zerstören.

In El Salvador habe es bislang noch keine richtige Versöhnung gegeben, sagt Coto. Dazu müsse zunächst die Geschichte tatsächlich aufgearbeitet werden. Zudem müsse das umstrittene Amnestiegesetz aufgehoben werden, unter das sich vor allem Militärs flüchteten, die an vielen Massakern beteiligt waren. Das wäre eine mutige Richtung, meint der Geistliche. Vielleicht die einzige, das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen: „Das wird kein einfacher Weg – und Jahre dauern. Aber wir haben angefangen.“

Von Tobias Käufer

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