Frage: Nach Schätzungen des UNHCR sind mehr als 740.000 Menschen innerhalb des Landes auf der Flucht; mehr als 120.000 Menschen sollen in die Nachbarländer geflohen sein. Wo kommen diese Menschen unter? Welche Schutzmöglichkeiten bietet die Kirche?
Schmidt: Nur etwa 80.000 Menschen haben Zuflucht in den Lagern der UNO gefunden. Ich nehme an, dass die meisten anderen dahin flüchten, wo sie vermuten, dass die Kämpfe nicht hingelangen, und wo sie Familie haben. Alle Flüchtlinge in Old Fangak wohnen bei Verwandten. Es gibt hier kein Lager.
Die Kirche ist nicht in der Lage, vor den Kämpfen Schutz zu bieten. Selbst bewaffneten Blauhelmsoldaten fällt es manchmal schwer, die Flüchtlingslager vor dem Eindringen der Armee oder den Rebellen zu schützen. In Malakal, dem Bischofssitz unserer Diözese, sind während der Gefechte bis zu 6.500 Menschen in die Kathedrale geflüchtet. Die Sitzbänke sind für 800 Personen ausgelegt. Glücklicherweise wurde das Gebäude nicht angegriffen.
Frage: Welche Rolle spielt die ethnische Zugehörigkeit in dem Konflikt?
Schmidt: In den Medien wurde des Öfteren betont, es würde sich in erster Linie um einen Machtkampf zwischen wenigen Politikern handeln, nicht um einen ethnischen Konflikt. Das stimmt insofern, dass die Eskalation der Ereignisse durch Entscheidungen von Präsident Kiir und dem ehemaligen Vizepräsidenten Machar verursacht worden ist. Aber diese Personen sind vollkommen eingebettet in ihr Sippensystem. Individuelle Handlungen sind nicht einfach nur von Machtgelüsten geleitet, sondern folgen oft einer „ethnischen“ Logik. Das braucht den beteiligten Personen nicht mal bewusst sein.
Die Nuer in unserem County unterstützen alle Riek Machar, der selbst zum Volk der Nuer gehört. Sie erhoffen sich durch ihn Teilhabe an der Macht im Staat und Zugang zu den Einkünften der Ölreserven. Die Nuer wünschen sich auch, dass Machar 2015 zum Präsidenten gewählt wird. Das ist natürlich nach seinem nationalen Amoklauf eine Illusion.
Für fast alle Südsudanesen ist die ethnische Zugehörigkeit wichtiger als die nationale Identität. Die eigene Sippe und Ethnie sorgen traditionell für Sicherheit und Verteilungsgerechtigkeit. Es handelt sich um ein Beziehungsnetz, aus dem man nur schwer austreten kann, selbst wenn jemand sich dem widersetzen möchte. Der Druck der Verwandten ist enorm groß. Jemand, der Geld verdient, hat viele bittende Verwandte. Wie soll ein Politiker, der Staatsgelder verwaltet, reagieren? Am Ende ist es ihm lieber, den Staat zu verraten als die eigene Sippe.