Erstmal Stabilität schaffen
Zwischen zwei und vier Jahren dauert eine Therapie. „Wir müssen Menschen wie Petek erst einmal stabilisieren“, sagt Brand-Wilhelmy. Das heißt, die Rahmenbedingungen müssen stimmen, eine grundlegende Sicherheit gewährleistet sein, bevor man überhaupt mit der Therapie beginnen kann. Dazu gehört die Anerkennung des Aufenthaltes ebenso wie Wohnraum oder eine finanzielle Absicherung.
Unter den Flüchtlingen sind viele Kinder und Jugendliche. „Weltweit gesehen ist jeder zweite Mensch auf der Flucht minderjährig“, macht Frank Hensel, Diözesan-Caritasdirektor für das Erzbistum Köln deutlich und wirbt zugleich um einen milderen Umgang mit den unbegleiteten jungen Flüchtlingen. Die gängige Praxis sei derzeit, das Alter der Ankömmlinge ärztlich über Röntgenuntersuchungen und „Inaugenscheinnahme“ zu bestimmen.
„Dieses Verfahren ist ungenau und kann erhebliche Nachteile und rechtliche Konsequenzen für die jungen Menschen mit sich bringen“, kritisiert Hensel. „Von der ethischen Fragwürdigkeit ganz zu schweigen.“ Werden die jungen Flüchtlinge als volljährig eingeschätzt, kommen sie nicht in Einrichtungen der Jugendhilfe unter, erhalten keinen Vormund, keinen Deutschkurs und keine Schulbildung. „Außerdem müssen sie sich alleine um ihr aufenthaltsrechtliches Verfahren kümmern“, so Hensel.
„Wir mussten einfach weg“
Der Caritas-Direktor des Erzbistums spricht sich dafür aus, die Jugenddefinition der Vereinten Nationen auch in Deutschland zu übernehmen. Danach sind alle Flüchtlinge unter 20 als Jugendliche oder junge Heranwachsende zu betrachten. „Und das ist durchaus gerechtfertigt, denn diesen Menschen wurde die Jugend gestohlen.“ So ergangen ist es auch Ali G., dessen echter Name nicht genannt werden darf, weil er sich noch im Anerkennungsverfahren befindet.
Als 16-Jähriger verließ der junge Afghane gemeinsam mit seiner Familie in einer Nacht- und Nebelaktion die Heimatstadt Kabul. „Wir hatten kein Ziel, wir mussten einfach weg!“, berichtet der junge Mann, der in Afghanistan zur verfolgten schiitischen Minderheit gehört. Über den Iran, die Türkei und Griechenland ging die Flucht, bis Ali sieben Monate später Deutschland erreichte. Allein. Seine Eltern und die beiden kleinen Schwestern hatte er in der Türkei verloren und bis heute nichts mehr von ihnen gehört.
Auch Ali ist Klient im Kölner Therapiezentrum für Folteropfer. Der heute 19-Jährige lebt in einer Wohngruppe mit anderen Jugendlichen zusammen, hat bereits seinen Hauptschulabschluss nachgemacht und geht nun zur Realschule. Beruflich würde er gerne etwas in Richtung Computer-Design machen, sagt er mit wachem Blick, in dem in diesem Moment nichts von seiner harten Vergangenheit zu lesen ist, sondern Hoffnung auf die Zukunft.
„Eine Bereicherung für unser Land“
„Die Flüchtlinge, die zu uns kommen sind keine Opfer, sondern starke Persönlichkeiten“, ist die Erfahrung von Zentrumsleiterin Brand-Wilhelmy. „Sie sind eine Bereicherung für unser Land." Nicht umsonst blieben viele Traumata lange Zeit unentdeckt. „Die Menschen schaffen es, damit zu leben und keiner merkt es. Das Trauma wird eingekapselt“, beschreibt es Psychologin Hamidiye Ünal, die ebenfalls im Zentrum arbeitet.