
Sorge um „Bürger zweiter Klasse“
Eigentlich ist Padre Mario Serrano mit einer guten Nachricht nach Deutschland gekommen. Denn der Jesuitenpater hat es mit seinem Aktionsbündnis „4 %“ und einer landesweiten Kampagne geschafft, dass in der Dominikanischen Republik jetzt vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes in die Bildung investiert werden. Davon erzählt er als Gast der Adveniat-Aktion, die in diesem Jahr unter dem Motto Hunger nach Bildung steht. In der vergangenen Woche war er im Erzbistum Bamberg unterwegs.
Aktualisiert: 12.07.2015
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Eigentlich ist Padre Mario Serrano mit einer guten Nachricht nach Deutschland gekommen. Denn der Jesuitenpater hat es mit seinem Aktionsbündnis „4 %“ und einer landesweiten Kampagne geschafft, dass in der Dominikanischen Republik jetzt vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes in die Bildung investiert werden. Davon erzählt er als Gast der Adveniat-Aktion, die in diesem Jahr unter dem Motto Hunger nach Bildung steht. In der vergangenen Woche war er im Erzbistum Bamberg unterwegs.
Aber er erzählt auch eine andere Geschichte. Und das ist keine Erfolgsgeschichte. Gerade bewegt ein Gerichtsurteil die Dominikanische Republik, das dazu taugt, den Staat und sein Nachbarland Haiti noch weiter zu entzweien. Zwar teilen sich die Länder die Insel Hispaniola, doch die Abneigung zwischen Haiti, einem der ärmsten Länder der Welt, und dem wohlhabenderen Touristenparadies Dominikanische Republik ist tief.
Nun hat das Verfassungsgericht der Dominikanischen Republik den Rassismus staatlich zementiert: Es entschied am 23. September, dass nicht automatisch Dominikaner ist, wer auf Dominikanischen Boden geboren ist. So war es bisher. Nun sollen die Kinder von illegalen Einwanderern ihre Staatsbürgerschaft wieder abgeben müssen, selbst wenn sie ihr ganzes Leben in der Dominikanischen Republik verbracht haben. Das trifft beinahe ausschließlich die Nachfahren von Haitianern. Menschen, deren Eltern oder Großeltern auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben in das Nachbarland gezogen und dort geblieben sind. Etwa 220 000 Bürgern haitianischer Abstammung droht jetzt die Staatenlosigkeit, schätzt Padre Mario Serrano. „Ich befürchte, dass sie Menschen zweiter Klasse werden“, sagt er.
„Das trifft die Ärmsten“
Die Papiere sind nach dem Urteil wertlos, Geburtsurkunden werden erst gar nicht ausgestellt. „Wer an die Universität gehen will braucht einen Pass, wer heiraten will braucht einen Pass“, sagt Serrano. Würden die Menschen tatsächlich staatenlos, dürften sie nicht mehr wählen und auch vom Sozialsystem wären sie ausgeschlossen. „Das trifft die Ärmsten“, sagt Serrano, denn die Haitianer verdingten sich oft als billige Arbeiter auf Kaffeeplantagen oder Zuckerrohrfeldern.
„Ich befürchte, dass sie Menschen zweiter Klasse werden.“
Illegitimes Urteil
Auch der Vater von Juliana Dequis Pierre kam 1969, um Zuckerrohr im Akkord zu schlagen. Er ging nie wieder nach Haiti zurück, seine Tochter wurde in der Dominikanischen Republik geboren. Und war nach damaliger Gesetzeslage Dominikanerin. Wie jeder, der auf dominikanischem Boden geboren wurde – ausgenommen die Kinder von Diplomaten oder Menschen „im Transit“, also auf der Durchreise. Das Gesetz wurde 2010 modifiziert und seitdem gelten haitianische Arbeitsmigranten ohne Aufenthaltsgenehmigung als Illegale, also ebenfalls auf der Durchreise. Das Gericht wandte das Gesetz rückwirkend an und urteilte, dass Juliana Dequis Pierres Vater keine Aufenthaltsgenehmigung besessen habe und sie folglich keinen Anspruch auf die Staatsbürgerschaft habe. Wie der 29-jährigen Mutter von vier Kindern droht es nun Hunderttausenden zu ergehen – bis zum Geburtsjahr 1929 zurück.
„Man unternimmt juristische Winkelzüge“, sagt Serrano und das regt ihn nicht nur deswegen auf, weil es um Menschen geht. Es gehe auch um den Rechtsstaat, sagt er. So sei es schlicht illegal, Gesetze rückwirkend anzuwenden. Außerdem sei gesetzlich festgelegt, dass Dominikaner bleibe, wer vor 2010 Dominikaner war – das werde mit dem Urteil einfach ausgehebelt.

Schick: Urteil hat auch rassistische Gründe
Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick, der Vorsitzender der Kommission Weltkirche ist, kritisierte das Urteil nach dem Gespräch mit Padre Mario Serrano. Es sei erkennbar, dass die Absicht sei, die Haitianer loszuwerden, die schon seit Generationen in der Dominikanischen Republik lebten. „Man will sie nicht haben, weil sie eine andere Kultur haben, weil sie eine andere Rasse sind, da stecken auch rassistische Gründe dahinter“, sagte Schick. Andererseits vermutet er ökonomische Gründe. „All das ist gegen Menschenrechte und gegen Menschenwürde“, sagte der Erzbischof. Deswegen müsse auch Deutschland darauf hinweisen, dass in der Dominikanischen Republik Unrecht geschehe. Das ist bislang nicht geschehen. Die Weltkirche-Kommission habe eine Lobby-Funktion, sagte Schick, so rede man mit der Regierung darüber, „dass auf der internationalen politischen Ebene die Stimme erhoben und die Dominikanische Republik darauf hingewiesen wird, dass da etwas geschieht, was sie eigentlich nicht zulassen dürfte.“
Internationale Proteste
Auch Padre Mario Serrano hofft auf den internationalen Druck. Die Gesellschaft in der Dominikanischen Republik ist in der Diskussion gespalten, ein Viertel der Bevölkerung befinde das Urteil für gut, sagt Serrano, gut 30 Prozent seien dagegen. Viele Nichtregierungsorganisationen, Nachbarländer und internationale Verbände kritisierten das Urteil, auch der Interamerikanische Menschengerichtshof wurde schon angerufen. Padre Mario Serrano gehört der Spitze eines Solidaritätskomitees an, in dem sich etwa 300 Intellektuelle, darunter Priester, Unternehmer, Wissenschaftler und Journalisten organisierten und im Land und international gegen das Urteil protestieren.
Erzbischof Schick begrüßt das Engagement der Kirche. „Zum Glauben gehört immer Gerechtigkeit, zum Glauben gehört Menschenwürde, zum Glauben gehören die Menschenrechte und dass die Bischöfe und die Kirche dort ihre Stimme erheben und vor Ort das Unrecht anprangern und Veränderungen einfordern“, sagte Schick. Er könne sich auch vorstellen, dass die deutschen Bischöfe einen Protestbrief formulierten. Allerdings nur, wenn das auf Wunsch der Bischöfe in der Dominikanischen Republik geschehe und die so etwas für hilfreich hielten. „Wir können die Institution vor Ort bestärken mit unserem Wissen, aber auch mit unserer Solidarität. Und weil alles auf dieser Welt auch Geld kostet, auch mit finanziellen Möglichkeiten“, sagte Schick.