Man muss allerdings auch sehen, dass die ärmeren Bevölkerungsschichten die neuen Medien sehr viel weniger nutzen als die jungen Leute der Mittelschicht. Als Franziskaner sind wir sehr stark in den Armenvierteln der Städte und auf dem Land aktiv. Internet gibt es dort in der Regel nur in den Gemeindezentren oder in öffentlichen Einrichtungen. Daher verwenden die Jugendlichen die sozialen Medien vor allem um Kontakte zu knüpfen und Beziehungen zu pflegen, aber nicht um politische Kundgebungen zu organisieren.
Frage: Auf der Brasilienfachtagung in Weimar halten Sie ein Diskussionsforum zum Thema „Jugend und Medien: Balance-Akt zwischen Teilhabe und Ausschluss“. Was steckt hinter diesem Titel?
Luciano: Brasilien wird häufig als ein Land dargestellt, das sich sehr stark entwickelt und viele Fortschritte macht. Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Die Kehrseite ist, dass die Unterschiede zwischen Arm und Reich und die Gewalt, vor allem bei Jugendlichen, zunehmen. In Brasilien landen im Jahr 2010 ungefähr 64.000 Minderjährige im Gefängnis. Bei der Rolle der Medien dabei sind zwei Dinge festzustellen: Zum einen gaukeln die klassischen Massenmedien den Jugendlichen Konsumbilder vor und verführen sie somit zum Kauf bestimmter Produkte. Wenn aber das Geld nicht reicht, führt dies zu Diebstahl und Gewalt. Zum anderen werden die Jugendlichen in Zeitungen, Radio, Fernsehen und Co. häufig als Gewalttäter stigmatisiert. Das hängt unter anderem mit dem Bestreben der Medien zusammen, das Alter der Straffälligkeit von 18 auf 14 Jahre herunterzusetzen. Menschenrechtsorganisationen und die Kirche sind streng dagegen. Stattdessen versuchen wir, ein Ausbildungssystem auf den Weg zu bringen, das sich an gewalttätige Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren richtet. Sie müssen rechtzeitig aufgefangen und pädagogisch betreut werden.
Frage: Welche Folgen hat diese Stigmatisierung durch die Medien für die Jugendlichen?
Luciano: Die Massenmedien treten häufig als Bewahrer der Kultur und der Werte des Landes auf. Sie vermitteln den gewalttätigen Jugendlichen den Eindruck, dass sie nichts wert und für die Gesellschaft unsichtbar sind. Die jungen Menschen versuchen daraufhin, der Gesellschaft das Gegenteil zu beweisen. Das Problem dabei: Für sie ist Gewalt häufig der einzige Weg, sich öffentlich Gehör zu verschaffen – ein Teufelskreis.
Frage: Wie helfen Sie den Jugendlichen dabei, aus dieser Gewaltspirale herauszukommen?
Luciano: Den Jugendlichen müssen Räume angeboten werden, in denen sie wahrgenommen und als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft anerkannt werden. Wir schaffen diese Räume, indem wir verschiedene Workshops, Seminare, Musik- und Kunstveranstaltungen anbieten. Dort können die Jugendlichen sich positiv erfahren und Selbstbewusstsein entwickeln.
Das Interview führte Lena Kretschmann.