Internationale Medien hatten sich für den Wahlkampf diese so spannende und menschelnde Geschichte ausgeguckt, wie sie das Leben manchmal schreibt und wie man sie sich kaum ausdenken kann: zwei Frauen, die zusammen im Sandkasten spielten; deren Väter, zwei Generäle, in der Diktatur auf verschiedene Seiten gelangten: der eine, Alberto Bachelet, Adept des gestürzten sozialistischen Staatspräsidenten Salvador Allende, an den Folgen von Folter gestorben in einem Gefängnis, das unter dem Oberbefehl des anderen stand: Fernando Matthei. Nun, von den Zeitläuften getrennt, treten die beiden Frauen gegeneinander um das höchste Staatsamt an: Michelle Bachelet (62), die einst verfolgte Sozialistin, und Evelyn Matthei (60), Kandidatin der Konservativen und Tochter eines Putschgenerals von Diktator Augusto Pinochet (1973–1990).
Zwei Frauen, zwei Geschichten, zwei politische Gegner. Doch so hübsch plakativ die Story – sie ging am Kern vorbei. Das Fernduell aus der Diktaturzeit war für Außenstehende interessanter als für die Chilenen selbst. Tatsächlich ging es eher um die fehlende Popularität des rechten Amtsinhabers Sebastian Pinera und die große Beliebtheit Bachelets. Und selbst in der eigenen Partei war Evelyn Matthei nur die dritte Wahl, nachdem der Favorit in den Vorwahlen unterlag und deren Sieger dann wegen Depressionen das Handtuch warf.
Wechselstimmung in Chile
Es herrschte Wechselstimmung in Chile. Die schwere Erdbebenkatastrophe vom Februar 2010 hat Pinera die Bilanz verdorben, bevor er überhaupt angetreten war. Den nationalen Notstand hat die Regierung zwar intensiv angegangen, und man kann bezweifeln, ob andere Präsidenten die Krise besser gehändelt hätten. Dazu kommen auf der Habenseite ein deutliches Wirtschaftswachstum und ein rasant steigendes Pro-Kopf-Einkommen – das freilich vor allem der Oberschicht zugutekommt.