Auch beim Menschenhandel verzeichnet der Priester einen deutlichen Anstieg: „Nicht nur Migranten verschwinden, sondern auch Mexikaner. Viele Frauen haben ihre Kinder – vor allem Mädchen – verloren, weil die vom Schultor weg entführt werden. Die organisierte Kriminalität setzt auf sexuelle Ausbeutung. Es tut sehr weh, vor allem im Bundesstaat Veracruz so viele Kinder einfach verschwinden zu sehen. Die Mütter wissen nicht mehr, an wen sie sich wenden sollen, um ihre Kinder wiederzufinden, und die, die am meisten Glück haben, finden wenigstens den Leichnam wieder. Eigentlich funktionieren in Mexiko die legalen Prozeduren gegen den Menschenhandel und das Gesetz bereitet den Kriminellen viel Kopfzerbrechen – aber leider gibt es viel Korruption, und darum klappt es nicht, alle juristischen Maßnahmen und Werkzeuge einzusetzen. Mafias kontrollieren die lateinamerikanischen Länder, Mexiko und den Süden der USA, sie kontrollieren die Grenzen. Und die Kartelle entscheiden, wer die Grenze überwindet und wer nicht.“
Appell zur Solidarität
Padre Alejandro reist immer wieder mal nach Europa, um auf die verzweifelte Lage der Armutsflüchtlinge aus Lateinamerika aufmerksam zu machen. „Ich bin kein Politiker, noch nicht mal ein Aktivist – ich bin einfach nur ein Missionar. Aber mir liegen die Migranten sehr am Herzen; für mich war Jesus der berühmteste Migrant der Geschichte! Ich rate Europa, seine Brüder im Süden zu lieben, in den Migranten das Gesicht Jesu zu sehen und ihn aufzunehmen.“ Das Drama von Lampedusa, wo aus Afrika kommende Bootsflüchtlinge immer wieder mal vor der Haustür Europas ertrinken, ist dem mexikanischen Priester ein Begriff. „Die Menschen verlassen Afrika, weil sie vor einer extremen Gewalt, vor dem Krieg flüchten. Aber man vergisst leicht, dass auch fast alle Länder Mittelamerikas, aus denen unsere Migranten in Mexiko kommen – Nicaragua, Guatemala, El Salvador (nicht Honduras) – lange Kriege hinter sich haben. Kriege, deren Wunden sich noch nicht geschlossen haben, die Gewalt ist immer noch Alltag.“
Padre Alejandro bittet die Europäer um Solidarität mit den Armuts- und Kriegsflüchtlingen. Wer für ein Abebben der Migrantenströme eintrete, der solle etwas dafür tun, dass sich in den Herkunftsländern der Migranten die Lebensbedingungen verbessern, dass Arbeitsplätze dort entstehen und Möglichkeiten für ein würdiges Leben. „Wir wissen, dass von hundert Personen, die zu unserer Herberge kommen, nur dreißig Prozent es schaffen, in die USA zu kommen. Und diese dreißig Prozent schaffen es nur, weil sie den Kartellen, z.B. den Zetas, Geld gezahlt haben. Trotz der Mauer haben die Kartelle ihr System, um die Menschen herüberzubringen. Aber was passiert mit den verbleibenden siebzig Prozent, die es nicht über die Grenze schaffen? Ein kleiner Teil kehrt zurück ins Ursprungsland; der andere Teil bleibt in Mexiko, einige finden Arbeit dort, andere rutschen in die organisierte Kriminalität hinein: Drogen, Entführungen, Überfälle. Die katholische Kirche hat immer gesagt, Migranten seien eine Gelegenheit, ein ‘kairos’. Ich glaube, wir alle sollten diese Gelegenheit nutzen, um vieles zu verstehen. Zum Beispiel, dass keiner Herr ist über irgendetwas. Dass wir alle Migranten sind.“