
„So lebt es sich nun mal in Israel“
Jossef Gillis steht am Grenzzaun zu Syrien. Der 63-Jährige ist Rinderzüchter auf den Golanhöhen, im Dorf Nov; er wohnt nur einen Kilometer von der Grenze entfernt. Gillis kommt täglich bis an die Grenze, sieht nach seinen Tieren, die fast bis zum Zaun weiden. Mit ausgestrecktem Arm zeigt er über den Stacheldrahtzaun. In Sichtweite liegt Jaba in Syrien. Dort wurden vor einigen Wochen Blauhelmsoldaten beschossen. Die Österreicher brachen daraufhin ihre UN-Mission ab.
Aktualisiert: 11.07.2015
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Jossef Gillis steht am Grenzzaun zu Syrien. Der 63-Jährige ist Rinderzüchter auf den Golanhöhen, im Dorf Nov; er wohnt nur einen Kilometer von der Grenze entfernt. Gillis kommt täglich bis an die Grenze, sieht nach seinen Tieren, die fast bis zum Zaun weiden. Mit ausgestrecktem Arm zeigt er über den Stacheldrahtzaun. In Sichtweite liegt Jaba in Syrien. Dort wurden vor einigen Wochen Blauhelmsoldaten beschossen. Die Österreicher brachen daraufhin ihre UN-Mission ab.
Für Jossef Gillis ist Angst so nahe am Kriegsschauplatz ein Fremdwort: „Wir können zwar die Kämpfe jenseits des Zauns zwischen Rebellen und Assad-Soldaten beobachten. Aber ich fühle mich hier sehr sicher“, sagt er. Selbst nach dem mutmaßlichen Giftangriff nahe Damaskus habe sich keiner aus seiner Familie eine Gasmaske organisiert. Er befürchte weder einen Giftgasangriff durch Rebellen noch durch das Regime: „Assad wird kein Interesse daran haben – denn dann war''s das mit ihm. Und die Rebellen halte ich persönlich für zu schwach.“ Für alle Fälle hätten aber viele Häuser auf den Golanhöhen einen Bunker.
Eine innersyrische Angelegenheit
Zipy Shaal sitzt im Schatten vor ihrem Haus in Givat Yoav. In diesem Moschav, einer landwirtschaftlichen Siedlung, vermieten sie und ihr Mann Ferienhäuser. Sie sind gut gebucht, denn noch sind Ferien in Israel. Auch Zipy Shaal besitzt keine Gasmaske. „Und das, obwohl für mich als Jüdin das Wort Gas eine besonders schlimme Bedeutung hat. Aber ich spüre keine Panik.“ Viel mehr Sorgen mache sie sich um ihre Tochter, die im Norden Israels direkt an der libanesischen Grenze lebe: in Schussweite einer Hisbollah-Stellung.
„Wenn ich jedes Mal in Panik geraten wäre, dann wäre ich längst im Irrenhaus.“
Den Konflikt sieht sie als innersyrische Angelegenheit. „Wir sind nah genug an der Grenze, um die Einschläge zu hören. Aber wenn Assad seine Leute bombardiert, dann sind das allein syrische Probleme. Wir leben hier weiter wie zuvor.“ Selbst wenn man viel Schlechtes sagen könne über Assad: Die Grenze zu Syrien sei in den vergangenen 40 Jahren die ruhigste in Israel gewesen. Sorgen macht sie sich um die Zeit nach Assad: „Wir wissen nicht, wer dort an die Macht kommt. Wenn es Islamisten werden, dann kann sich die Situation hier schnell verschlechtern.“

Seit Beginn des Syrien-Konflikts hat sich Zipy Shaal daran gewöhnt, nachts Raketeneinschläge zu hören. Und manchmal, ergänzt ihr Mann Jimy, verirre sich ein Sprengkörper auch über die Grenze: „Bislang muss Israel nicht reagieren. Meine große Angst ist, dass syrisches Gas in die Hände der Hisbollah im Libanon gelangt und wir von dort bombardiert werden.“ Er hoffe, dass die israelischen Drohnen alles im Blick behalten.
Konflikte sind längst Gewohnheit
Nur wenige Kilometer von Givat Yoav starten die Drohnen von der Grünen Wiese. Lautlos sirren die unbemannten Flugzeuge über Feindesland. Dass unter Assad all die Jahre der Waffenstillstand mit Syrien sicher war, sei ein großes Glück gewesen. Seit 46 Jahren lebt Jimy Shal auf den Golanhöhen. Als junger Mann zog er gegen Syrien in den Krieg. Er sei es gewohnt, dass es Konflikte um die Gegend gebe; das habe ihn gelassen werden lassen: „Wenn ich jedes Mal in Panik geraten wäre, dann wäre ich längst im Irrenhaus.“
Seine Tochter Liat Suari wiegt Jimys Enkel auf dem Arm; sie hat die Gelassenheit ihrer Eltern. Sie kenne die aufgeregten Fragen vor allem von Freunden aus Europa. Wahrscheinlich, so die 33-Jährige, seien sie aus europäischer Sicht auch sinnvoll: Schließlich sei der Krieg ja sozusagen in Rufweite. „Für Leute, die diese Art Wirklichkeit nicht gewöhnt sind, ist das wirklich beängstigend. Aber wir kennen hier im Land Katjuscha-Raketen aus dem Gazastreifen und Selbstmordanschläge. So lebt es sich nun mal in Israel.“
Natürlich wünsche sie sich Frieden für das Nachbarland. Schrecklich seien die Bilder aus Syrien, wenn Verletzte direkt am Grenzzaun abgelegt würden in der Hoffnung, Hilfe in israelischen Krankenhäusern zu finden. Dennoch ist sich die Mutter zweier Kleinkinder sicher, dass der Konflikt kein Krieg mit Israel werden wird. Und die Sache mit den Gasmasken? Ähnlich wie schon während des Irak-Krieges seien bei einer Eskalation vor allem die Großstädte gefährdet. Der Golan als potenzielles Anschlagsziel sei schlicht zu dünn besiedelt.
Von Silke Heine