Bundesregierung stellt 0,7-Prozent-Ziel infrage

Bundesregierung stellt 0,7-Prozent-Ziel infrage

Die Bundesregierung plant einen Kurswechsel bei der Entwicklungshilfe. Dazu gehört laut Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) auch, das selbst auferlegte Ziel zu hinterfragen, wonach 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens in die Entwicklungszusammenarbeit fließen sollen. Im vergangenen Jahr lag die Quote nach Angaben des Entwicklungsministeriums bei 0,38 Prozent. Wichtiger als diese Quote sei die Frage, welche Wirkung in den Ländern mit den Mitteln erzielt werde, so Niebel am Mittwoch in Berlin.

Erstellt: 22.08.2013
Aktualisiert: 11.07.2015
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Die Bundesregierung plant einen Kurswechsel bei der Entwicklungshilfe. Dazu gehört laut Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) auch, das selbst auferlegte Ziel zu hinterfragen, wonach 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens in die Entwicklungszusammenarbeit fließen sollen. Im vergangenen Jahr lag die Quote nach Angaben des Entwicklungsministeriums bei 0,38 Prozent. Wichtiger als diese Quote sei die Frage, welche Wirkung in den Ländern mit den Mitteln erzielt werde, so Niebel am Mittwoch in Berlin.

Der Minister bezog sich auf einen Bericht zur Zukunft der Entwicklungspolitik, den das Kabinett am gleichen Tag verabschiedete. Ein Anlass ist das Auslaufen der UN-Millenniumsziele 2015. Diese sahen unter anderem vor, die Armut in der Welt zu halbieren, und sollen durch neue Vorgaben ersetzt werden, die zusätzlich etwa einen schonenderen Umgang mit Rohstoffen in den Blick rücken. Maßstab müsse immer die Wirkung der eingesetzten Mittel in den jeweiligen Ländern sein. Daran müssten sich auch die konkreten Maßnahmen der deutschen Entwicklungspolitik messen lassen, so Niebel.

Kritik von Grünen und Hilfswerken

Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin kritisierte das Vorhaben der Bundesregierung. Sie habe sich bereits weit von den internationalen Zusagen entfernt. Nun würden kurzerhand die Verpflichtungen für obsolet erklärt. Das sei ein Schlag „ins Gesicht der Ärmsten der Armen – auch der christlichen Kirchen“, die sich stets für eine Einhaltung eingesetzt hätten.

Trittins Fraktionskollege Thilo Hoppe sprach von einem Armutszeugnis. In vielen Sonntagsreden habe die Bundesregierung immer vollmundig behauptet, alles dafür zu tun, dass das auch im Koalitionsvertrag verankerte 0,7-Prozent-Ziel bis 2015 erreicht werde. Jetzt die eigenen Zusagen für nichtig zu erklären und das 0,7-Prozent-Ziel als nicht mehr zeitgemäß zu bezeichnen, schade der Glaubwürdigkeit Deutschlands in der Welt.

Brot für die Welt: ein verheerendes Signal

Ähnlich äußerte sich Cornelia Füllkrug-Weitzel, die im „Kompetenzteam“ von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück für entwicklungspolitische Fragen zuständig ist. Die Bundesregierung habe als erste europäische Regierung ihre internationale Zusage, mehr Geld für die Ärmsten auszugeben, aufgekündigt. Als reichstes Land Europas verabschiede es sich damit faktisch auch von den ambitionierten Millennium-Entwicklungszielen zur Halbierung der Armut. Das sei ein verheerendes Signal, so die Direktorin der Aktion Brot für die Welt. Es sei zu befürchten, dass damit ein allgemeiner Rückzug von den eingegangenen Verpflichtungen eingeleitet werde.

Bild: © KNA

Misereor: Armutsbekämpfung droht unverbindlich zu werden

Auch das katholische Entwicklungshilfswerk Misereor kritisierte das Infragestellen des 0,7-Prozent-Ziels durch Entwicklungsminister Niebel. „Das sind keine guten Voraussetzungen für Verhandlungen über internationale Abkommen zum Beispiel zur Zukunft der Millennium-Entwicklungsziele oder zum Klimaprozess. Wie wollen wir so unserer Vorbildfunktion gerecht werden und andere Staaten auffordern, ihren internationalen Verpflichtungen nachzukommen?“, sagte Misereor-Geschäftsführer Thomas Antkowiak am Donnerstag in Aachen.

Das Hilfswerk forderte die Bundesregierung dazu auf, schon vor der Bundestagswahl den Kampf gegen Armut und für die Durchsetzung der Menschenrechte weltweit zu intensivieren. „Die Finanzierung globaler Entwicklungsziele, gerade auch mit Blick auf den Kampf gegen die Folgen des Klimawandels nach 2015, erfordert den Einsatz zusätzlicher und innovativer Finanzierungsinstrumente“, erklärte Antkowiak.

Venro: Qualität und Quantität nicht gegeneinander ausspielen

Ebenso hagelte es Kritik seitens des Dachverbands entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen Venro . „Es ist völlig unverständlich, dass Minister Niebel ausgerechnet in diesem Zusammenhang das 0,7-Prozent-Ziel in Frage stellt und die Erhöhung der Wirkung gegen die Erhöhung der Mittel ausspielt“, so der Vorsitzende von Venro, Ulrich Post. Qualität und Quantität seien keine Gegensätze und ließen sich nicht voneinander trennen. Mit der Verabschiedung vom 0,7-Prozent-Ziel schade die Bundesregierung nicht nur der Entwicklungspolitik, sondern auch dem internationalen Ansehen Deutschlands.

(KNA/Misereor/Venro)