Frage: Don Bosco Fambul ist afrikaweit bekannt für seine Straßenkinderarbeit. Wie sieht die Lage auf den Straßen Freetowns aus?
Wagner: Das Leben auf den Straßen Freetowns ist konflikt- und gewaltbeladen. Wir stellen fest, dass immer mehr kleinere Jungen bereits im Alter unter zwölf von den Familien ausgestoßen werden und auf den Straßen landen. Viele sind auch Opfer von skrupellosem Kinderhandel. Wildfremde Menschen oder aber auch Verwandte bringen Kinder aus kinderreichen Familien aus dem Landesinneren nach Freetown. Meist versprechen die Kinderhändler ein Schulstipendium. Sind die Kinder dann in Freetown, werden sie ausgebeutet und gezwungen, für die Täter zu arbeiten. Hier spielt physische sowie psychische Gewalt eine große Rolle. Derzeit gehört auch eine bekannte Rechtsanwältin in Freetown zu den Tätern. Der Sozialminister und auch die Polizei sind informiert. Wir verzeichnen auf den Straßen auch eine Zunahme von Kindern aus dem Nachbarland Guinea. Die haben dann zusätzlich noch das Sprachproblem.
Frage: Sie kritisieren seit Jahren die Rolle der Polizei.
Wagner: Ja, und das werden wir wohl fortführen müssen. Denn viele Polizisten machen regelrecht nächtliche Jagd auf Straßenkinder. Während wir gerade hier sprechen, wird ein Junge im Notfallkrankenhaus operiert. Er und andere wurden von Polizisten in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag im Stadtzentrum von Freetown gejagt. Dabei fiel er in einen Wassergraben und brach sich das Bein. Wir haben Kinder, die tagelang zusammen mit Erwachsenen in Polizeizellen ausharren müssen. Wir haben auch Fälle der Ausbeutung von Straßenkindern durch Polizisten. Vier unserer Jungen, die wir erfolgreich wieder in ihre Familien integrieren konnten, wurden von Polizisten in Kissy ausgeraubt und geprügelt; zwei von ihnen wurden anschließend für zwei Tage in die Polizeizelle gesperrt.
Frage: Was tut Don Bosco Fambul dagegen?
Wagner: Wir melden die Missbrauchsfälle dem „Complaint Discipline Internal Investigation Department“ (CDID) im Headquarter der Polizei. Dort werden die Fälle untersucht. In der Regel werden daraufhin die Vorfälle von oberster Polizeistelle bedauert und ein hartes Vorgehen gegen die kriminellen Polizisten versprochen. Meist bleibt es aber bei gutgemeinten Absichten. Es geschieht nichts. Die Täter sind immer noch im Dienst und die Opfer werden durch genau diese Polizisten auf den Straßen angepöbelt oder sogar attackiert – auch ich habe das am eigenen Leib erlebt. Werden die Fälle öffentlich, fällt die Polizei in ihre üblichen Verhaltensmuster, nämlich die der Leugnung, was zeigt, dass die Bereitschaft zur Änderung überhaupt nicht vorhanden ist.
Frage: Sind denn die Kinder und deren Familien eigentlich bereit zur Aussage gegen die Polizei?
Wagner: Leider nur ein geringer Teil. Zum einen haben sie kein Vertrauen in die Polizei und ergeben sich ihrem Schicksal. Zum anderen ist die polizeiliche Untersuchung eine reine Zeitverschwendung und mit Schikanen übersät. Es beginnt bereits damit, dass immer ein „Police Medical Report“ eines einzigen Arztes im Counaught Hospital angefertigt werden muss. Hier erleben die Opfer bereits die erste Hürde: langes Warten mit Schmerzen sowie Kosten von 25.000SLL, die die meisten nicht aufbringen können. Das schützt viele Täter und auch kriminelle Polizisten, denn hier geben die ersten Opfer auf. Es besteht dringender Handlungsbedarf durch die Regierung! Mehr Ärzte und kostenfreie medizinische Untersuchung für die Opfer!