
„Keine Panikmache“
Fast ein halbes Jahr ist es her, dass eine Rebellengruppe namens Seleka gegen den Präsidenten der Zentralafrikanischen Republik Francois Bozize geputscht und die Macht im Land übernommen hat. Laut Aussagen zahlreicher Kirchenvertreter herrscht seitdem Chaos in dem afrikanischen Binnenstaat. Die Rufe nach internationaler Hilfe werden lauter. Bischof Peter Marzinkowski (74) leitet die Diözese Alindao im Süden des Landes. Im Interview mit dem Internetportal Weltkirche beschreibt der deutsche Spiritanerpater die Situation in seinem Bistum und warnt vor medialer Panikmache.
Aktualisiert: 11.07.2015
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Fast ein halbes Jahr ist es her, dass eine Rebellengruppe namens Seleka gegen den Präsidenten der Zentralafrikanischen Republik Francois Bozize geputscht und die Macht im Land übernommen hat. Laut Aussagen zahlreicher Kirchenvertreter herrscht seitdem Chaos in dem afrikanischen Binnenstaat. Die Rufe nach internationaler Hilfe werden lauter. Bischof Peter Marzinkowski (74) leitet die Diözese Alindao im Süden des Landes. Im Interview mit dem Internetportal Weltkirche beschreibt der deutsche Spiritanerpater die Situation in seinem Bistum und warnt vor medialer Panikmache.
Frage: Seit die Rebellenbewegung Seleka im März dieses Jahres die Macht in der Zentralafrikanischen Republik übernommen hat, herrschen im Land Auseinandersetzungen. Wie hat sich die Situation seitdem entwickelt?
Marzinkowski: Das, was über die Zustände in der Zentralafrikanischen Republik berichtet wurde, ist teilweise wahr, teilweise nicht. Oft sind die Berichte so emotional aufgeladen, dass die Wahrheit dabei untergeht. Da muss man aufpassen. Ein Beispiel: Ein Nachbarbischof gab im Januar dem französischen Rundfunk ein Interview über die Lage in Alindao, ohne genau zu wissen, was dort passiert war. Daraufhin haben sich die Rebellen gerächt und kirchliche Einrichtungen in meiner Diözese überfallen. Sie sehen also: Jedes falsche Wort wird ausgeschlachtet.
Die Situation bei uns in Alindao, 500 Kilometer von der Hauptstadt Bangui entfernt, ist schwierig. Es ist sehr viel zerstört und geplündert worden. Wir haben keine Wagen, keine Motorräder, keine Solaranlagen mehr. Wir versuchen mit den wenigen Mitteln, die uns geblieben sind, die Diözese wieder aufzubauen. Darüber hinaus hat die Seleka die ganze Verwaltung in unserer Provinz übernommen. Somit hat die Rebellengruppe die komplette Kontrolle. Aber sie verhält sich immerhin friedlich gegenüber den Einwohnern.
Frage: Wie wirkt sich der Konflikt auf den kirchlichen Alltag aus?
Marzinkowski: Alindao besteht zwar nur aus fünf Pfarreien, doch jede von ihnen hat ungefähr 100 bis 120 Außenstationen. Da braucht man einfach Fahrzeuge. Die müssen jetzt Stück für Stück neu angeschafft werden. Und bis dahin organisieren wir unsere Wege mit Buschtaxis, die von den Rebellen betrieben werden. Man fährt auf diese Weise ins nächste Dorf und läuft dann von dort Station für Station zu Fuß ab – so wie es die alten Missionare früher auch gemacht haben.

Frage: Einige Kirchenvertreter sprachen in Bezug auf den Konflikt von einem Aufstand von Islamisten, der sich insbesondere gegen die katholische und protestantische Kirche im Land richte. Sind die Auseinandersetzungen wirklich religiös bedingt?
Marzinkowski: Der Konflikt ist nicht religiös bedingt, sondern in erster Linie rassistisch. Es ist natürlich einfach, islamistische Motive darin zu sehen, aber das stimmt einfach so nicht. Die Angriffe in unserer Provinz richteten sich nicht gegen die Kirche, sondern vornehmlich gegen staatliche Einrichtungen.
Frage: Wie ist die humanitäre Lage in Ihrer Diözese?
Marzinkowski: Viele Menschen sind nach den Plünderungen durch die Rebellen hoch traumatisiert. Die größten Sorgen mache ich mir um meine fünf Priester, die nach Bangui geflohen sind und sich nicht trauen, nach Alindao zurückzukommen – obwohl es bei uns jetzt sicherer und ruhiger ist als in der Hauptstadt. Es sind also nicht die materiellen Schäden, die tief sitzen, sondern die seelischen. Diese versuchen wir jetzt durch psychologische und spirituelle Aufbauarbeit zu beheben.
Frage: Die Bischofskonferenzen von Afrika und Madagaskar (SECAM) trafen sich Mitte Juli im Kongo und richteten einen eindringlichen Appell an die internationale Gemeinschaft, humanitäre Hilfe zu leisten. Sie fühlen sich von der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen. Sehen Sie das auch so?
Marzinkowski: Ich wehre mich ein bisschen gegen diese Panikmache. Es gibt einige Bischöfe, die recht vorschnell reagiert und sich an die Medien und die internationale Gemeinschaft gewandt haben. Meiner Meinung nach muss das Land erst einmal zur Ruhe kommen. Dann müssen in den Diözesen zwei Sachen geprüft werden. Erstens: Was haben wir noch? Und zweitens: Was ist zum Leben notwendig? Danach vergeben wir für die Neuanschaffungen Prioritäten und stellen Anträge. Ich hätte mir gewünscht, dass dieses Verfahren einheitlich über die Bischöfe in die Wege geleitet worden wäre.
Frage: Was kann die Kirche in Deutschland und insbesondere jeder Einzelne hier tun? Wie können wir helfen?
Marzinkowski: Wir bekommen schon viel Unterstützung aus Deutschland, zum Beispiel durch „Kirche in Not“, Missio Aachen und das Erzbistum Köln. Aber es sind nicht immer materielle Hilfen, mit denen Unterstützung geleistet werden kann. Was uns beispielsweise auch sehr geholfen hat, ist die Gebetskette, die meine Schwester Angelika mit Freunden und Bekannten aus Emmerich und Aachen organisiert hat. Seit Anfang April denken sie gemeinsam jeden Mittag um 12 Uhr im Gebet an uns. Das ist wahre Verbundenheit und macht Mut.
Das Interview führte Lena Kretschmann.