Mika: In den Gebieten, aus denen sich die syrische Armee zurückgezogen hat, ändert sich schnell, wer das Sagen hat. Dennoch sind diese Regionen für uns leichter erreichbar. Und die Menschen dort brauchen dringend Hilfe. Sie sind von der Infrastruktur abgeschnitten, es gibt keinen Strom mehr, kein Wasser, keinen Sprit, kein Saatgut und keine Nahrungsmittel. Die Versorgung hier ist schlechter, sicher auch weil die Regierung sie bewusst von der Infrastruktur abschneidet. Außerdem verliert das Geld aufgrund einer Inflation an Wert. An die Banken kommen sie nicht mehr heran, denn in den befreiten Gebieten gibt es kein Bankenwesen mehr. Also die Leute haben viel verloren.
Frage: Welche Hilfsgüter liefern Sie an die Menschen?
Mika: Wir haben Planen, Kochgeschirr und Hygieneartikel geliefert. Die Menschen sitzen dort teilweise im Zelt und besitzen im Prinzip nichts mehr außer ihrer Kleidung. Das, was sie zu Geld machen konnten, haben sie vielleicht verkauft. Mit den Planen haben wir dann versucht, Schattengestelle aufzubauen, denn in den Zelten kann es locker 60 Grad heiß werden. Ansonsten beliefern wir Bäckereien mit Mehl, verteilen Brot und Nahrungsmittelpakete.
Frage: Wie kritisch ist die Nahrungsmittelsituation zurzeit?
Mika: Das wird ein Problem werden. Im Land wird nur noch halb so viel Getreide produziert wie vor der Krise. Eine ausreichende Versorgung ist nicht mehr gewährleistet. Außerdem hat Syrien nie genug für den Eigenbedarf produziert, sondern zusätzlich Getreide importiert. Saatgut können wir zwar verteilen, aber wie wird es bewässert? Die Pumpen werden mit Dieselgeneratoren betrieben, doch der Zugang zu Sprit und Ersatzteilen ist wie gesagt schwierig. Nächstes Jahr werden die Syrer wohl noch weniger Ernte haben.
Frage: Ergreifen Sie da als Welthungerhilfe vorbeugende Maßnahmen?
Mika: Es ist sehr schwer, Zugang zu den Menschen zu bekommen. Wir versuchen das, was geht. Es ist aber nicht zu vergleichen mit einer Naturkatastrophe, wo wir von der Regierung aufgerufen werden zu helfen und relativ frei agieren können. Zurzeit fahren wir monatlich Lieferungen mit Nahrungsmitteln von der Türkei nach Syrien. Da ist Getreide dabei, Mehl, Hülsenfrüchte, Nudeln, Brot und Öl. Aktuell bereiten wir eine weitere Hilfslieferung für den Herbst vor. Wir arbeiten vor Ort auch stark mit anderen Hilfsorganisationen zusammen.
Frage: Was war für Sie persönlich ein positives Erlebnis in Syrien?
Mika: Mein schönstes Erlebnis hatte ich bereits an der Grenze zu Syrien. Wir mussten den ganzen Tag lang warten, um durchzukommen. Vorher fuhren kleine LKW durch, Busse mit Flüchtlingen und wir brauchten lange, um die Lieferungen umzuladen. Als die Sonne unterging, öffnete sich endlich die Grenze. Dahinter kamen uns syrische Helfer mit türkischer Pizza und Cola in der Hand entgegen, um mit uns das Iftar zu begehen, das Fastenbrechen, denn es war Ramadan. Auch wenn wir uns kaum verständigen konnten, war das ein ganz besonderer Moment.
Von Claudia Zeisel