Anna: Ich bin achtsamer geworden. Die Menschen, die einem in der Fazenda begegnen, sind ganz normal. Sie hatten vorher ein ganz gewöhnliches Leben; sie gingen zur Arbeit, wie du und ich – und dann kam irgendwann der Absturz. Mir ist bewusst geworden, dass es wichtig ist, zu meinem Nächsten, der mir hier auf der Straße begegnet, gut zu sein. Dafür muss man nicht raus in die weite Welt gehen.
Frage: Apropos „weite Welt“: Ihr fliegt schon eine Woche vor Beginn des Weltjugendtags nach Rio de Janeiro. Welches Programm erwartet euch dort?
Anna: Da der Weltjugendtag erst am 23. Juli beginnt, haben wir eine gute Woche Zeit, um die Stadt und die Adveniat-Projekte kennenzulernen. Wir werden ein Projekt für Straßenkinder und für ehemalige Prostituierte besuchen. Außerdem werden wir die Mitarbeiter der Gefangenenseelsorge treffen und mit ihnen über die Jugendkriminalität in Rio sprechen. Wir werden aber nicht nur „Brennpunkt-Projekte“ kennenlernen, sondern auch allgemein soziale Initiativen der Kirche, zum Beispiel eine Ferien-Betreuung für Kinder und Jugendliche aus ärmeren Verhältnissen. Diese Vielfalt finde ich super, denn Lateinamerika ist nicht nur kriminell – das wird in den Medien häufig zu einseitig dargestellt. In der zweiten Woche werden wir dann an den Veranstaltungen des Weltjugendtags teilnehmen, unter anderem auch am
International Youth Hearing
, das am 24. Juli in der Hafenschule von Rio de Janeiro stattfindet.
Frage: Gibt es während des WJT’s Höhepunkte, auf die du dich ganz besonders freust?
Anna: Die ganze Reise wird ein Highlight; insbesondere durch die Atmosphäre und die lateinamerikanische Spiritualität. Die ist ganz anders als in Europa. Auch auf den neuen Papst Franziskus bin ich sehr gespannt.
Frage: In den vergangenen Wochen war Brasilien häufig in den Schlagzeilen: Tausende Menschen sind auf die Straße gegangen, um gegen die zukünftig anstehenden Großereignisse, wie die Fußball-WM und die Olympischen Spiele, zu demonstrieren. Machst du dir Sorgen um eure Sicherheit?
Anna: Nein, überhaupt nicht (lacht). Ich finde es total gut, dass die Leute dort auf die Straße gehen und sich gegen die Misswirtschaft der Regierung auflehnen. Es ist einfach provokant, wenn es auf der einen Seite Menschen gibt, die nicht genug zum Leben haben, und auf der anderen Seite Millionenbeträge für neue Fußballstadien ausgegeben werden. Ich hoffe, dass die Proteste der Auslöser für einen positiven Aufschwung im Land sein werden.
Das Interview führte Lena Kretschmann.