„Entwicklung entsteht im Dialog“
Sie sind in der Gesundheitsberatung in Asien tätig, leisten Aufbauhilfe im Bildungswesen in Afrika oder arbeiten in Umweltprojekten in Lateinamerika. Seit über 50 Jahren ziehen Männer und Frauen von Deutschland aus in die weite Welt, um als Entwicklungshelfer ihr Know-How in den Ländern des Südens einzubringen. Im Interview mit dem Internetportal Weltkirche spricht Michael Steeb, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH), über Ziele und Ideale des Entwicklungsdienstes und erklärt, warum Entwicklungshelfer alles andere als ein normaler Beruf ist.
Aktualisiert: 11.07.2015
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Sie sind in der Gesundheitsberatung in Asien tätig, leisten Aufbauhilfe im Bildungswesen in Afrika oder arbeiten in Umweltprojekten in Lateinamerika. Seit über 50 Jahren ziehen Männer und Frauen von Deutschland aus in die weite Welt, um als Entwicklungshelfer ihr Know-How in den Ländern des Südens einzubringen. Im Interview mit dem Internetportal Weltkirche spricht Michael Steeb, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH), über Ziele und Ideale des Entwicklungsdienstes und erklärt, warum Entwicklungshelfer alles andere als ein normaler Beruf ist.
Frage: Mit einem Festakt würdigte Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) Ende Juni das 50-jährige Jubiläum des Arbeitsfeldes des Entwicklungshelfers. Wie schätzen Sie die Bedeutung von Entwicklungshelfern heute ein?
Steeb: Der Entwicklungsdienst hat eine hohe Bedeutung. Entwicklung heute heißt, Dinge global zu betrachten. Wir müssen uns sowohl im Norden als auch im Süden der gemeinsamen Gestaltung unserer Erde widmen. Wenn Sie zum Beispiel einmal die Klimafrage betrachten: Diese lässt sich nicht allein in Afrika bearbeiten. Dürre, Versteppung, Überschwemmungen – die klimatischen Folgen, die dort auftreten, sind zum großen Teil hier bei uns verursacht. Wenn man etwas nachhaltig verändern will, geht das nur über Erfahrungen, die Menschen miteinander machen. Der Schwerpunkt des Entwicklungshelfers heute liegt in der Vernetzung – insbesondere auf zivilgesellschaftlicher Ebene. Von- und miteinander lernen – das ist das Wichtigste.
Frage: Welche Qualifikationen muss ein Entwicklungshelfer mitbringen?
Steeb: Der Entwicklungshelfer benötigt sowohl fachliche als auch solidarische Kompetenzen. Die Zusammenarbeit mit den Partnern vor Ort bedarf eines hohen Maßes an Professionalität. Die Fachkräfte müssen wissen, wie man jemanden fördert, ohne ihm sein Arbeitsfeld wegzunehmen und eine Abhängigkeit zu schaffen. In der Vorbereitung auf den Dienst legen wir darauf großen Wert, zum Beispiel durch Coachings.
Des Weiteren muss den Entwicklungshelfern bewusst sein, dass ihr Dienst keinen Wissenstransfer vom Norden in den Süden darstellt. Es geht vielmehr darum, den anderen verstehen zu lernen. Wir nennen das „produktive Fremdheit“: sich mit Neugierde auf eine andere Lebenswelt einlassen und sich fragen: „Warum funktioniert eine bestimmte Sache hier so und nicht anders?“ Diese Neugier muss bei beiden Partnern gegeben sein.
Frage: Neben dem Modell des Entwicklungshelfers gibt es auch den Beruf des Entwicklungs-Experten. Was ist der Unterschied?

Steeb: Der Entwicklungs-Experte leistet Entwicklungshilfe, weil es sein Beruf ist. Er erhält einen Lohn für seine Arbeit. Im Gegensatz dazu stellt sich der Entwicklungshelfer mit seinen fachlichen und sozialen Kompetenzen in den Dienst einer Sache, ohne dass eine Erwerbsabsicht im Vordergrund steht. Ihm wird dazu ein monatliches Unterhaltsgeld zur Verfügung gestellt.
Ein zweiter Unterschied ist die Dauer des Dienstes. Entwicklungshelfer arbeiten immer nur für eine bestimmte Zeit in einem Vorhaben. Bei der AGEH sind das beispielsweise drei Jahre. Nach der Rückkehr in die Heimat ist der Dienst allerdings noch nicht beendet. Die Entwicklungshelfer geben die Erfahrungen, die sie in den Projekten gesammelt haben, an die Gesellschaft in Deutschland weiter, sei es an Freunde, Familie, Arbeitgeber oder durch ehrenamtliches Engagement.
Frage: Zum 1. Januar 2011 verschmolzen die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), die Internationale Weiterbildung und Entwicklung gGmbH (InWEnt) und der Deutsche Entwicklungsdienst (DED) zur neuen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ). Kritiker befürchten, dass in dem staatlichen Großunternehmen mit über 16.000 Mitarbeitern kein Platz mehr für Modelle wie das des Entwicklungshelfers ist. Was halten Sie davon?
Steeb: Ich unterstütze es, dass es einen staatlichen Träger gibt, der Menschen anbietet, einen Entwicklungsdienst zu leisten. Aber das Programm muss auch unter den Voraussetzungen laufen, die einem Entwicklungsdienst entsprechen. Und da ist die Frage, wie das innerhalb der GIZ gelingen kann. Bisher hat dies nicht so gut geklappt.
Frage: Wo gab es Schwierigkeiten?
Steeb: Die GIZ dient vornehmlich dazu, große Entwicklungsprogramme im Auftrag der Bundesregierung umzusetzen. Da rückt die Philosophie des mit- und voneinander Lernens in den Hintergrund. Trotzdem vermittelt die GIZ sowohl Experten als auch Entwicklungshelfer. Die Gefahr dabei ist, dass die Grenzen zwischen beiden verschwimmen. Warum soll ich für ein „kleines“ Unterhaltsgeld als Entwicklungshelfer arbeiten, wenn ich das Ganze als Experte zu meinem Beruf machen kann? Und da liegt das Problem: Es mangelt in der GIZ bisher an einem tragfähigen Leitbild für den Entwicklungshelfer. Es wird nicht deutlich, was der Mehrwert oder das Andere gegenüber der Arbeit eines Experten ist, was den Dienst eines Entwicklungshelfers ausmacht. Der Unterschied zwischen beiden Modellen muss sinnhaft erscheinen, sonst funktioniert das Nebeneinander nicht.
Dieses Problem haben die Entwicklungshelfer innerhalb der GIZ schnell erkannt und ihr Unbehagen geäußert. Daher sind das Entwicklungsministerium und insbesondere die GIZ zurzeit bemüht, dieses Bild zu korrigieren. Ob das gelingt, weiß ich nicht.
Frage: Seit 1959 vermittelt die AGEH qualifizierte Frauen und Männer als Fachkräfte in Entwicklungsprojekte. Wie hat sich das Berufsfeld des Entwicklungshelfers seit dieser Zeit gewandelt?
Steeb: Es gibt Veränderungen in den Berufsgruppen, zum Beispiel wurden früher viel mehr Handwerker gesucht als heute. Es gibt auch bestimmte Moden. Ich erinnere mich an eine Zeit, in der Fachkräfte für den Bereich „ländliche Entwicklung“ stark nachgefragt wurden. Darüber hinaus hat es einen Wandel in der Philosophie gegeben. Es geht heute viel stärker darum, im gemeinsamen Dialogprozess mit den Partnern vor Ort Entwicklung zu fördern. Früher war die weit verbreitete Meinung: „Ich gehe jetzt nach Afrika und helfe denen dort.“ Das ist heute anders. Das Bewusstsein, dass Entwicklung im Dialog entsteht, ist inzwischen etabliert.
Frage: Wie wird es in Zukunft mit dem Entwicklungshelfer weitergehen?
Steeb: Ich glaube, dass wir zukünftig nicht nur Entwicklungshelfer haben, die von Deutschland oder einem anderen europäischen Land in den Süden gehen, sondern auch andersherum: Fachkräfte, die aus Entwicklungsländern hierher kommen. Es gibt so genannte Reverse-Programme bereits im Rahmen der Freiwilligendienste. Ich persönlich fände es hervorragend, wenn dies auch im Bereich des Entwicklungsdienstes angeboten würde. Eine Fachkraft aus dem Süden, die einen anderen Blickwinkel in unsere alltägliche Arbeit bei der AGEH hineinbringt? Davon könnten beide Seiten doch nur profitieren.
Das Interview führte Lena Kretschmann.