
Streit um Gesetz gegen Menschenhandel
Die Berichte sind erschütternd, die Täter mitten in der Gesellschaft und die Behörden zumeist machtlos: Die Bundesrepublik ist zu einem Eldorado der Zwangsprostitution geworden. Eigentlich sollte die längst anstehende Umsetzung der EU-Richtlinie zum Kampf gegen Menschenhandel den massenhaften Missbrauch eindämmen. Doch selten wurde ein Gesetzentwurf so verrissen wie die Regelung, die die Regierungskoalition am Donnerstag im Bundestag verabschieden will. Bei aller gegensätzlichen Einschätzung der Prostitution waren sich die Sachverständigen bei einer Anhörung des Rechtsausschusses im Bundestag einig: Am derzeitigen Los unzähliger Opfer von Zwangsprostitution wird die Regelung kaum etwas ändern.
Aktualisiert: 11.07.2015
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Die Berichte sind erschütternd, die Täter mitten in der Gesellschaft und die Behörden zumeist machtlos: Die Bundesrepublik ist zu einem Eldorado der Zwangsprostitution geworden. Eigentlich sollte die längst anstehende Umsetzung der EU-Richtlinie zum Kampf gegen Menschenhandel den massenhaften Missbrauch eindämmen. Doch selten wurde ein Gesetzentwurf so verrissen wie die Regelung, die die Regierungskoalition am Donnerstag im Bundestag verabschieden will. Bei aller gegensätzlichen Einschätzung der Prostitution waren sich die Sachverständigen bei einer Anhörung des Rechtsausschusses im Bundestag einig: Am derzeitigen Los unzähliger Opfer von Zwangsprostitution wird die Regelung kaum etwas ändern.
Wie kam es überhaupt zu dieser Entwicklung? Der Augsburger Kriminalhauptkommissars Helmut Sporer nennt zwei Gründe: das Armutsgefälle in der EU und das Prostitutionsgesetz der rot-grünen Regierung von 2002. Die Regelung sollte das Gewerbe zur normalen Dienstleistung machen, einschließlich Sozialversicherung. Für die meisten Sexarbeiterinnen ist sie zur Falle geworden. Sporer spricht von einer „Generalvollmacht für Bordellbesitzer“.
„Elends-, Armuts-, und Zwangsprostitution ist der Normalfall“
Als eine der wenigen Städte registriert Stuttgart jede Prostituierte. 2012 waren dort von den 3.359 im Gewerbe tätigen Frauen 82 Prozent Ausländerinnen. Bei den Neuzugängen lag ihr Anteil bei 90 Prozent. Die meisten kommen aus Rumänien, Bulgarien und Ungarn und können kein Deutsch. Nach der Erfahrung von Sabine Constabel vom Gesundheitsamt Stuttgart „kommt die typische Prostituierte aus Osteuropa, ist Anfang 20 und hat zwei oder drei Kinder im Heimatland“. Nicht mehr „professionelle Huren“ bestimmen das Geschäft, sondern „Elends-, Armuts-, und Zwangsprostitution ist der Normalfall“, so Constabel. Viele würden sogar von Angehörigen begleitet – in jenes Land, wo Prostitution rechtlich ein normaler Job ist, und die Frau eine internationale angebotene Ware für Flatrate-Sex.
Doch was bedeutet die Arbeit für die Frauen? „Sexualität ist ein zutiefst intimer Akt, der untrennbar mit dem Kern der Persönlichkeit verbunden ist“, erinnert Constabel. Prostitution „erzwingt aber von der Frau ein Höchstmaß an körperlicher Intimität bei gleichzeitiger maximaler emotionaler Distanz und innerer Unbeteiligtheit“. Dass die Frauen „reihenweise an diesem Service zerbrechen, stört das Geschäft nicht“, so die Sozialarbeiterin. „Zu uns kommen Frauen und sagen: ‚Ich fühle mich wie eine öffentliche Toilette'', ‚Ich werde nie wieder lachen können'', ‚Ich bin hier gestorben‘“.
Solwodi: Von Opferschutz ist im Gesetz keine Rede
Zu Schwester Lea Ackermann von der Hilfsorganisation Solwodi kam erst vor wenigen Tagen eine 19-Jährige „mit einer ansteckenden Krankheit infiziert, ausgezehrt bis auf die Knochen, und doch bis zur Einlieferung bei uns im Dienste ihrer Freier“. Allein an Solwodi wandten sich im vergangenen Jahr 1.709 Frauen und Kinder aus 105 Ländern. „Alles Opfer von Gewalt hier bei uns in Deutschland“, erklärt Ackermann aufgebracht. Vom Opferschutz ist im Gesetz keine Rede.
Die Reform will „Prostitutionsstätten“ einer gewerberechtlichen Überwachung unterstellen. Für Rechtsexperten ist schon der unscharfe Begriff juristisch unbrauchbar. Völlig unverständlich ist Sporer aber, weshalb private Räumlichkeiten ausgeklammert werden, wo Zwangsprostitution zumeist stattfindet. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Siegfried Kauder (CDU), machte bei der Anhörung deutlich, dass wirksame Gesetz längst in Schublade liegen. Und die Rechtspolitiker der Union machen keinen Hehl daraus, dass sie sich eigentlich ein ganz anderes Gesetz gewünscht hätten. Eine wirkliche Reform scheitert aber dem Vernehmen nach an der FDP und dem fehlenden Willen anderer Parteien, die Grundausrichtung des Prostitutionsgesetzes zu revidieren.
„Von Opferseite ist das schon ein Wahnsinn, was da passiert“, fasste es Michael Heide von der Hilfsorganisation „KARO“ aus Plauen zusammen. Denn solche Zustände untergraben für viele Bürger längst das Vertrauen in den Rechtsstaat und beschädigen die menschenrechtliche Glaubwürdigkeit Deutschlands – zumal in den Herkunftsländern der Opfer.