Hand beim Einwurf des Wahlzettels in die Wahlurne (Symbolfoto)
Urnengang im Zeichen des Ukraine-Kriegs

Rumäniens Superwahljahr geht ins Finale

Bukarest  ‐ Rumänien steuert dem Ende eines Superwahljahrs entgegen. Nach dem EU-Parlament und Lokalregierungen sollen am Sonntag ein neuer Präsident und eine Woche später ein neues Parlament gewählt werden.

Erstellt: 22.11.2024
Aktualisiert: 21.11.2024
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Von Markus Schönherr (KNA)

Trümmerteile im Wald, Explosionen am Himmel: Sie sind furchterregende Zeugen eines Krieges, der regelmäßig an die rumänische Haustür klopft. „Die Russische Föderation greift immer wieder die ukrainischen Hafenstädte an der Donau an und nimmt mindestens billigend in Kauf, dass Drohnen oder Drohnenteile auf der rumänischen Seite der Grenze niedergehen und damit auch auf Nato-Territorium“, sagt Katja Plate.

Laut der Büroleiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bukarest hat sich Rumänien seit Beginn des russischen Angriffskriegs „hohen Respekt“ der Nato-Partner erworben. Das Land nahm Tausende ukrainische Flüchtlinge auf. Nach ukrainischen Piloten sollen demnächst auch Marinesoldaten in Rumänien ausgebildet werden. Vor kurzem schickte Rumänien ein Patriot-Raketenabwehrsystem ins Nachbarland.

Die Nähe Rumäniens zur Ukraine und die Unterstützung für den kriegsgebeutelten Nachbarn wurden zuletzt auch zum Wahlkampfthema. Vergangene Woche äußerten politische Insider die Sorge, dass Russland versuche, die Ergebnisse der Präsidenten- und Parlamentswahl (24.11. und 01.12.) zu beeinflussen. Dies geschehe durch von Moskau finanzierte Organisationen und die Internet-Propaganda sogenannter Trollfabriken. Der zuständige Parlamentsausschuss forderte Aufklärung durch den rumänischen Geheimdienst.

Die Angst vieler Rumänen wegen der Nähe zum Ukraine-Krieg nutzt sie als Plattform: Diana Sosoaca, seit Juni Abgeordnete im EU-Parlament, will die Hilfe für die Ukraine aussetzen und engere Beziehungen zu Moskau. Da sie regelmäßig mit antisemitischen und ausländerfeindlichen Tiraden für Aufsehen sorgt, schloss Rumäniens Verfassungsgericht Sosoaca aus dem Präsidentenrennen aus. Die Entscheidung gilt in Rumänien jedoch selbst unter neutralen Experten als umstritten. „Sie verhält sich extremistisch und es gibt keine Zweifel, dass sie und ihre Partei antidemokratische Ansichten pflegen“, sagt der rumänische Politologe Septimius Parvu. Jedoch habe der Ausschluss für das demokratische System einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen.

Sosoacas Bann dürfte nicht nur ihre Partei SOS Romania bei der Parlamentswahl stärken. Im Präsidentenrennen versammelt der Kandidat der Allianz für die Vereinigung der Rumänen, George Simion, das rechte Lager hinter sich. Die Nationalisten könnten bei der Parlamentswahl vereint etwa ein Drittel der Stimmen holen. Warum Experten trotzdem keinen massiven Rechtsruck oder eine Annäherung an Moskau erwarten? Dazu meint Bianca Toma vom Rumänischen Zentrum für Europapolitik: „Antimigrations- und Antiflüchtlingsnarrative haben keinen Anklang gefunden. Die Unterstützung der Ukraine sowohl durch die Gesellschaft als auch durch die Behörden ist beträchtlich.“

Mehr als zwei Drittel der Rumänen sprachen sich in einer aktuellen Umfrage für einen künftigen pro-westlichen Präsidenten aus. Als aussichtsreichster Kandidat gilt der aktuelle Ministerpräsident Marcel Ciolacu von der Sozialdemokratischen Partei. Beobachter sehen ihn bereits in der Stichwahl, die eine Woche nach der Parlamentswahl am 8. Dezember stattfindet. Neben Rechtspopulist Simion haben auch der ehemalige Vize-Nato-Generalsekretär Mircea Geoana und die Vorsitzende der liberalen Union Rettet Rumänien, Elena Lasconi, Chancen auf den zweiten Platz.

Den langjährigen Staatschef Klaus Johannis dürften nur die wenigsten vermissen. Er scheidet mit historisch schlechten Umfragewerten aus dem Amt. „Ich habe in den letzten zwei Jahren niemanden getroffen, der auch nur ansatzweise den Kurs verteidigt, den Johannis fährt“, resümiert Dominic Fritz. Der Deutsche wurde dieses Jahr als Bürgermeister der fünftgrößten Stadt Rumäniens, Temeswar, wiedergewählt. Der Liberale lastet Johannis fehlenden Schwung im Kampf gegen Korruption, parteipolitische Irrfahrten und eine millionenteure Renovierung von dessen Villa inklusive Golfplatz an.

Wie die Parteien bei der Parlamentswahl abschneiden, wird laut Expertin Katja Plate vom Ergebnis des ersten Durchgangs der Präsidentenwahl beeinflusst. Die Sozialdemokraten dürften es mit 30 Prozent erneut auf den ersten Platz schaffen. Ein Neuanfang könnte Rumänien außenpolitisch bevorstehen: Über Jahre fühlten sich viele Rumänen als „EU-Bürger zweiter Klasse“, da Österreich Rumäniens Schengen-Beitritt mit seinem Veto blockierte. Bereits im Frühjahr 2025 könnte sich dies laut Medienberichten aus Wien ändern und Rumänien vollständig dem Schengen-Raum ohne Grenzkontrollen beitreten. Bisher war für Rumänen nur der Luftweg komplett offen.

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