Baraka heißt Segen
Marokko ist ein wichtiges Transitland für Migrantinnen und Migranten aus Afrika und dem Nahen Osten auf dem Weg nach Europa. Dieser Weg ist sehr gefährlich und endet immer wieder tödlich. Eine kleine Jesuitenkommunität in Nador, im Nordosten des Landes, steht Geflüchteten wie Einheimischen bei.
Aktualisiert: 31.07.2023
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Gestrandet in Marokko
Knapp 30.000 Flüchtlinge leben nach offiziellen Angaben in Marokko. Schätzungen zufolge könnten es tatsächlich bis zu 200.000 sein: Viele haben keine Papiere, leben in informellen Siedlungen und verstecken sich, um nicht von den Behörden entdeckt zu werden. Die meisten von ihnen stammen aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara, aus Jemen, Somalia und Syrien – die meisten suchen die Chance auf ein besseres Leben in Europa und sind hier gestrandet. Dazu kommen Tausende Marokkanerinnen und Marokkaner, die keine Perspektive mehr in der Heimat sehen: Nach Angaben von „Frontex“, der Grenz- und Küstenwache der EU, waren marokkanische Staatsangehörige im ersten Quartal 2021 die drittgrößte Gruppe „irregulärer“ Ankömmlinge in der EU.
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Die Bedeutung der „westlichen Mittelmeerroute“ wächst: 2021 wurden mehr als 22.000 Menschen von den marokkanischen Behörden bei dem Versuch abgefangen, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Viele von ihnen werden Opfer von Schlepperbanden, reisen in überfüllten und viel zu kleinen Booten. Nach Angaben der UN-Behörde IOM (Internationale Organisation für Migration) sind seit 2014 mehr als 20.000 Geflüchtete im Mittelmeer ums Leben gekommen.
Tödliche Grenzen, Leben am Rande
Im Norden Marokkos wird das Dilemma der europäischen Flüchtlingspolitik deutlich: Die EU unterstützt die Staaten des Maghreb, Geflüchtete von Europa fernzuhalten bzw. sie wieder in ihre Heimatländer oder in die Nachbarländer zurückzudrängen. Mitunter gewaltsam. Ein trauriger Höhepunkt der Abschottungspolitik waren die Ereignisse vom 24. Juni 2022 an der Grenze der spanischen Enklave Melilla: Tausende Geflüchtete aus Subsahara-Afrika versuchten, über die Grenzzäune auf spanisches Hoheitsgebiet zu gelangen und waren massiver Gewalt durch die spanischen und marokkanischen Sicherheitskräfte ausgesetzt.
Mindestens 37 Menschen starben, 150 wurden durch Schläge verletzt, oder weil sie tief stürzten – die Grenzzäune sind bis zu zehn Meter hoch. 77 Menschen gelten nach wie vor als vermisst.
Die Lage jener, die in Marokko der Weiterreise nach Norden harren, ist schwierig, vor allem Frauen und Kinder leiden unter den Umständen: Diskriminierung, mangelnder Zugang zu medizinischer Versorgung und Bildung, begrenzte Beschäftigungsmöglichkeiten und das permanente Risiko der Abschiebung bestimmen ihren Alltag.
Pape sah viele Menschen sterben
Pape ist Taxifahrer in Mbour, einer Stadt in Zentral-Senegal. „Ich habe vier Mal versucht, nach Europa auszuwandern“, schildert er im Bericht eines Evaluierungsprojekts der Diözese Tanger. Er nahm ein Boot, um von Marokko aus die Kanarischen Inseln zu erreichen, er schlief im Wald und versuchte die Zäune von Melilla an der Mittelmeerküste Richtung Spanien zu überwinden, er durchquerte die Wüste von Libyen: „ich habe viele Menschen sterben sehen“. Dennoch ist er bereit, es noch einmal zu versuchen, denn er sieht keine Zukunft für sich im Senegal und träumt vom Erfolg in Europa.
„Ich habe vier Mal versucht, nach Europa auszuwandern“
Pape ist einer von vielen, die verzweifelt versuchen zu migrieren: „Fast jede Familie im Senegal hat ein Mitglied, dem der Weg nach Norden gelungen ist und das nun die Familie daheim laufend finanziell unterstützt“, heißt es im Bericht, „aber fast jede Familie kennt auch Menschen, die unterwegs ihr Leben verloren haben.“
Migration aus Tradition
Um die Migration im und aus dem Senegal sowie anderen afrikanischen Ländern zu verstehen, hilft ein Blick in die Vergangenheit: Migration ist in der Tradition des Kontinents tief verankert. Mobilität wurde und wird immer noch mit einem positiven Akt verbunden, der es dem Menschen ermöglicht, aus dieser Erfahrung Nutzen zu ziehen und sich zu entwickeln. Mobilität ist auch ein internes, saisonales Phänomen, wenn Menschen aus trockenen Regionen in wasserreichere Gebiete abwandern.
Nach Angaben der IOM waren im Jahr 2020 etwa 28,2 Millionen Menschen in Afrika auf Wanderschaft, doch nur ein Bruchteil von ihnen auf dem Weg nach Europa.
Was bedeutet Baraka?
„Baraka“ ist das arabische Wort für Segen.
Hilfe für alle
Die Arbeit der Jesuiten in Marokko teilt sich auf in zwei Werke: die „Diözesandelegation für Migration“ (DDM) sowie das Baraka-Zentrum für Berufsbildung und Integration. In beiden Einrichtungen arbeiten Teams von jeweils etwa zwanzig Personen daran, Menschen in Not umfassend Hilfe zu leisten: Migrantinnen und Migranten auf der Durchreise durch Angebote der DDM sowie der benachteiligten lokalen Bevölkerung über die Programme im Baraka-Zentrum.
Nach Angaben der Weltbank lebt ein Fünftel der Marokkanerinnen und Marokkaner unterhalb der Armutsgrenze – das sind 6,3 Millionen Menschen, betroffen sind vor allem ländliche Regionen. Zu den Folgen der Pandemie mit ihren massiven Auswirkungen auf den Tourismussektor kommen die Konsequenzen einer weltweiten Inflation durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Zudem leidet das Land unter einer historischen Dürre, die 2022 fast 65 Prozent der Weizenernte vernichtet hat.
Im Einsatz für die Schwächsten
Die Diözesandelegation für Migration (DDM) ist eine Einrichtung der Diözese Tanger, die im Juli 2011 von Bischof Don Santiago Agrelo gegründet wurde, um in vier küstennahen Gebieten – Tanger, Tetouan, Al Hoceima und Nador – eine koordinierte Antwort auf die Probleme der afrikanischen Migrantinnen und Migranten zu geben.
Auftrag der DDM ist es, schwachen und verletzlichen Menschen Schutz und Begleitung zuteil werden zu lassen. Konkret geht es um die Unterstützung in prekären Situationen, das Organisieren medizinischer und psychosozialer Hilfsangebote sowie den Zugang zu sozialen, rechtlichen und behördlichen Dienstleistungen. „Es ist in Marokko für Geflüchtete schwierig, medizinische Leistungen in Anspruch zu nehmen“, berichtet Alvar Sánchez SJ, der Projektverantwortliche, „vor allem Frauen und Kinder leiden unter der schwierigen Versorgungslage.“ Sie sind in vielerlei Hinsicht gefährdet, weitere Aufgabenschwerpunkte sind daher die Bekämpfung von Stigmatisierung, Diskriminierung und geschlechtsspezifischer Gewalt sowie die Befähigung zur Selbstbestimmung.
Wie wichtig die Angebote der DDM sind, zeigt ein Brief am Schwarzen Brett der DDM in Nador. Der Bürgermeister eines Dorfes im Senegal bedankt sich beim Team der Einrichtung für die Hilfe, die aus seinem Dorf migrierten Jugendlichen in Nador zu Teil wurde.
Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe Sommer 2023 der Zeitschrift jesuitenweltweit. Wir danken für die Genehmigung zur Übernahme!