In Ungarn hat Franziskus überrascht
Budapest ‐ Lob und Tadel für Orban, Friedensappelle zur Ukraine, Visionen von einem neuen Europa und Warnungen vor der Diktatur der Algorithmen - der Papst hat viel reingepackt in seine Ungarn-Reise. Nicht alles war erwartbar.
Aktualisiert: 02.05.2023
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Mit einem Friedensappell für die Ukraine und mit Warnungen vor einem ungebremsten digitalen Fortschritt hat Papst Franziskus seine Ungarn-Reise beendet. Vor rund 50.000 Menschen betete er nach einem Gottesdienst vor dem Parlament in Budapest inständig um Frieden für „das gepeinigte ukrainische Nachbarvolk und für das russische Volk“. Die Verantwortlichen rief er auf, „Frieden zu schaffen und den jungen Generationen eine Zukunft der Hoffnung und nicht des Krieges zu bieten; eine Zukunft voller Kinderbetten und nicht voller Gräber“.
Bei einem Treffen mit Wissenschaftlern in der Katholischen Universität von Budapest warnte er unmittelbar vor seinem Abflug vor einer Unterwerfung unter die Macht der Algorithmen und einer Beherrschung des Menschen durch die Technik. Wenn das Gewinnstreben des Einzelnen und unersättlicher Informationsdrang dominierten, würden menschliche Bindungen zerstört. Einsamkeit und Angst beherrschten, gefördert durch einen „wilden Kapitalismus“, am Ende die Gesellschaft, so die düstere Mahnung des Papstes. Schon am Abend zuvor hatte der Papst mehr als 10.000 Jugendliche eindringlich ermahnt: Sie sollten nicht zu Sklaven der Sozialen Netzwerke werden, die Realität im Sog des Virtuellen nicht vernachlässigen und nicht „am Handy kleben“.
Doch die Themenpalette der drei Franziskus-Tage in Ungarn war noch breiter. Die Aufnahme von Migranten und von Menschen am Rand der Gesellschaft mahnte Franziskus mehrere Male an, und er sprach sehr grundsätzlich über die Zukunft der EU und ihre Werte. Mit Spannung war erwartet worden, wie sich Franziskus angesichts der abschottenden Migrationspolitik von Ministerpräsident Viktor Orban und seiner Konflikte mit den supranationalen Behörden in Brüssel äußern würde.
Viel Lob und etwas Tadel
Das Ergebnis war eine erstaunliche Mischung von viel Lob und etwas Tadel. Der Papst zeigte sich begeistert über die Familienförderung in Ungarn. Auch unterstützte er Orban bei dessen Widerstand gegen eine „woke“ Einheitsideologie, zu der aus Sicht des Papstes ein „Recht auf Abtreibung“ und eine Infragestellung natürlicher Geschlechterunterscheidungen gehören.
Die Mahnungen des Papstes gegen das Gender-Denken und gegen den Supranationalismus wurden in Ungarns Nachrichtensendungen dutzende Male wiederholt. Ausländische Medien hingegen hoben die - sicher auch an die Adresse Orbans gerichtete - Kritik des Papstes an national-populistischen Politikern hervor, die den europäischen Traum bedrohten und Europa „zu ihrer Geisel“ machten.
Dennoch überwog in der Wahrnehmung der ungarischen Gastgeber das Lob. Der Papst habe gezeigt, dass er ein „Verbündeter“ des in der EU manchmal isolierten Landes sei und dass er Ungarn liebe, sagte der ungarische Vatikan-Botschafter Eduard Habsburg am Rand des Besuchs vor Journalisten. Ungewöhnlich war die offensichtlich sehr herzliche Beziehung des Papstes zu der 40 Jahre jüngeren Staatspräsidentin Katalina Novak, die mit ihm charmant auf Spanisch plauderte und scherzte. Auch ein Selfie-Foto des Papstes mit ihr entstand dabei.
Papst begeistert Jugendliche
Von der angeschlagenen Gesundheit des 86-jährigen, die vor Ostern die Schlagzeilen beherrschte, war in Ungarn wenig zu spüren. Franziskus blühte auf, vor allem bei seiner Begegnung mit jungen Leuten, die er am Samstagabend in einer Sportarena mit spontanen Einlassungen begeisterte. Erst am letzten Tag zeigte er Anzeichen von Überanstrengung, nachdem er am Abend zuvor die ungarischen Mitbrüder des Jesuitenordens zu einem privaten Austausch empfangen hatte. Das war der siebte Termin an einem Tag, für den ursprünglich nur vier angesetzt waren.
Der Papst aus Argentinien hat seit 2013 mehr als ein Dutzend ehemals kommunistische Länder bereist. Beim Besuch in Ungarn hat er abermals gezeigt, welche Doppel-Strategie er in Osteuropa verfolgt: Einerseits setzt er in der Auseinandersetzung mit ultraliberalen Strömungen im Westen auf den Rückhalt der Christen in Osteuropa mit ihrem „Glauben aus Granit“, wie er es in Budapest unter großem Beifall formulierte.
Andererseits will er dazu beitragen, dass Kirche, Politik und Gesellschaften in Osteuropa offener und dialogbereiter werden und ihren Halt nicht in nostalgischen Ideen der Vergangenheit suchen. Sie sollen „offene Türen“ werden, beschwor er die Ungarn bei der Abschlussmesse vor dem Parlament in Budapest.
Mit besonderem Nachdruck wandte er sich dabei an die Bischöfe und Priester und mahnte sie: „Der Hirte unterdrückt die ihm anvertraute Herde nicht, er ‚raubt‘ seinen Brüdern und Schwestern, die Laien sind, nicht ihren Bereich, er übt kein rigides Regiment.“ Viel deutlicher hätte er kaum sagen können, wie er die kirchliche Wirklichkeit in Ungarn wahrnimmt und in welche Richtung er sie verändern will.
KNA