Ein Satellit fliegt über ein Tiefdruckgebiet
Warum Hilfsorganisationen auf Satellitentechnik setzen

Nothelfer aus dem All

Genf ‐ Hungernde Menschen, überflutete Dörfer – das sind Bilder, die Nothelfern im Katastrophenfall häufig begegnen. Weit weniger bekannt ist, dass humanitäre Organisationen inzwischen auf Aufnahmen aus dem Weltall zurückgreifen, um Leben zu retten.

Erstellt: 06.10.2022
Aktualisiert: 06.10.2022
Lesedauer: 

Frederic Ham, Koordinator von Ärzte ohne Grenzen, versorgt die Einsatzzentrale in Genf mit geografischen Informationen. Zur Internationalen Weltraumwoche der Vereinten Nationen (4. bis 10. Oktober) gibt er im KNA-Interview Einblicke in seine Arbeit.

Frage: Herr Ham, wie kommt es, dass Ärzte ohne Grenzen auf Satellitenbilder zurückgreift. War es damit die erste humanitäre Organisation?

Frederic Ham: Nicht unbedingt, Organisationen wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz oder Human Rights Watch griffen in der Vergangenheit auch darauf zurück. Zunächst waren vor allem die damit einhergehenden Kosten ein Hindernis, die Bilder waren unerschwinglich. Doch in den letzten paar Jahren greift man immer häufiger auf diese Technologie zurück; das verdanken wir ihrer Demokratisierung und zunehmenden Verbreitung.

Der Zugang zu den Bildern ist heute viel besser. Im Fall von Umweltkatastrophen oder Bombenanschlägen in bewaffneten Konflikten haben sich Satellitenbilder als Unterstützung erwiesen. In diesen Situationen erhalten wir die Bilder schnell und mit sehr hoher Auflösung, um Schadensausmaß, den Zustand der Straßen ins Katastrophengebiet und andere Sachverhalte analysieren zu können.

Frage: Auch bei Krankheitsausbrüchen wie Covid-19 sollen Satellitenbilder helfen.

Ham: Ja, bei epidemiologischen Beurteilungen können die Bilder Aufschluss über die Häuserzahl in einem betroffenen Gebiet geben, oder über die Zahl an Notunterkünften in einem Flüchtlingscamp. Anhand dieser und anderer Daten können unsere Epidemiologenteams die Bewohnerzahl abschätzen. Von da an übernehmen unsere Logistiker und Mediziner.

Frage: Können Satellitenbilder also Leben retten?

Ham: Sie tragen zur Intervention und (humanitären) Reaktion bei, also indirekt ja. So helfen sie bei wichtigen Entscheidungen weiter: Welche Gebiete sind von einer plötzlichen Krise am meisten betroffen und welche logistischen Möglichkeiten haben wir, die Region schnellstmöglich zu erreichen? Das spart uns Zeit. Bei einer Krisenreaktion ist Zeit von entscheidender Bedeutung.

Frage: Ihrer Website nach zu urteilen kommt die Hilfe aus dem All besonders häufig in Afrika zum Einsatz. Warum?

Ham: Einige Regionen Afrikas durchleben zahlreiche humanitäre Krisen wie Umweltkatastrophen, Krankheitsausbrüche und Migration. Satellitenbilder halfen uns zuletzt etwa bei den Überflutungen 2019 in Mosambik oder den Zyklonen 2022 auf Madagaskar. Das Ausmaß unserer Einsätze in Afrika ist enorm, jedoch gibt es oft zu wenige Karten der Einsatzgebiete. Deshalb ist das Team des Geografischen Informationssystems so dringend gefragt.

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Frage: Stichwort Migration: Wie können Satellitenbilder da helfen?

Ham: Diese Technologie erlaubt es uns, mit hochaktuellen Informationen zu arbeiten, zum Beispiel über die Entwicklung hinsichtlich Größe oder Grundriss eines Flüchtlingslagers. Das hat humanitären Akteuren etwa schon im Dagahaley Camp in Kenia oder auch im Nduta Camp in Tansania geholfen. Sie konnten ihren Einsatz dadurch auf die betroffenen Gebiete und die dort lebenden Menschen abstimmen.

Frage: Sind die Informationen ausschließlich für Ärzte-ohne-Grenzen-Teams vor Ort?

Ham: Wir arbeiten mit Partnern wie der Universität Salzburg zusammen, die Fachwissen über Bildanalyse und Kartenerstellung mitbringen. Wenn wir sehen, dass unsere Karten zu einer humanitären Antwort beitragen können, teilen wir diese gerne mit anderen Organisationen. So können wir die gemeinsame Reaktion verbessern.

Von Markus Schönherr (KNA)