Wege zu einem guten Leben für alle
Es braucht neue Wege für ein gelingendes Zusammenleben, die ökologische Grenzen beachten und soziale Spaltungen abbauen und für die Zukunft verhindern. Eines dieser Modelle ist das Weltgemeinwohl. Ein Überblick aus katholischer Perspektive.
Aktualisiert: 13.09.2022
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Der Begriff „Weltgemeinwohl“ hat eine mehr als 2000-jährige Vorgeschichte. Seine Idee findet sich bei Aristoteles, Thomas von Aquin und Gottfried Wilhelm Leibnitz. In der Katholischen Soziallehre kam er allerdings erst spät an: Mit den Enzykliken Mater et magistra (1961) und Pacem in terris (1963) von Papst Johannes XXIII.
Das Wohl aller im Blick haben
Die Globalisierung fordert uns heraus: Finanzkrisen, gewaltsame Konflikte und der Klimawandel. Sie machen uns die Grenzen unseres eigenen Wohlstands deutlich und mahnen uns zu einem Umdenken in der Entwicklungspolitik. Es braucht neue Wege für ein gelingendes Zusammenleben, die ökologische Grenzen beachten und soziale Spaltungen abbauen und für die Zukunft verhindern. Eines dieser Modelle ist das Weltgemeinwohl. Das Konzept, das schon in der antiken Philosophie beschrieben und später in der Rechts- und Wirtschaftsphilosophie weiterentwickelt wurde, beschreibt den Idealzustand einer Gemeinschaft, die das Wohl aller Menschen im Blick hat. Das Weltgemeinwohl basiert demnach auf den Sozialstaatsprinzipien Subsidiarität, Solidarität, Personalität und Gerechtigkeit.
Weltgemeinwohl aus katholischer Perspektive
In der Katholischen Soziallehre ist das Gemeinwohl ein zentrales Prinzip für das Zusammenleben. Papst Johannes XXIII. thematisierte 1961 in seiner Sozialenzyklika Mater et magistra das „weltwirtschaftliche Gemeinwohl“ (Nr. 71) und das „gesamtmenschheitliche Gemeinwohl“ (Nr. 78). Damit war das Gemeinwohl auf der internationalen Ebene, auf der Weltebene, angekommen. Zwei Jahre später schreibt er in Pacem in terris vom „umfassendem Gemeinwohl, welches die gesamte Menschheitsfamilie angeht“ (Nr. 132). Außerhalb der Kirche ist der Begriff jedoch bis heute weitgehend unbekannt.
Auf der Basis der gleichen personalen Würde eines jeden Menschen versteht die Katholische Soziallehre das Gemeinwohl in einer doppelten Weise: Zum einen ist damit inhaltlich das „Wohl aller und eines jeden“ (Sollicitudo rei socialis Nr. 38) gemeint, zum anderen kann man den Begriff formal sehen. Die Überlegungen von Papst Johannes XXIII. aufgreifend hat das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) in Gaudium et spes (1965), dem zentralen Konzilstext über die „Kirche in der Welt von heute“, festgehalten: „Aus der immer engeren und allmählich die ganze Welt erfassenden gegenseitigen Abhängigkeit ergibt sich als Folge, daß das Gemeinwohl, d.h. die Gesamtheit jener Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens, die sowohl den Gruppen als auch deren einzelnen Gliedern ein volleres und leichteres Erreichen der eigenen Vollendung ermöglichen, heute mehr und mehr einen weltweiten Umfang annimmt und deshalb auch Rechte und Pflichten in sich begreift, die die ganze Menschheit betreffen. Jede Gruppe muß den Bedürfnissen und berechtigten Ansprüchen anderer Gruppen, ja dem Gemeinwohl der ganzen Menschheitsfamilie Rechnung tragen.“ (Gaudium et spes Nr. 26)
Nicht nur das Gemeinwohl einzelner Nationen ist also anzustreben, sondern das Weltgemeinwohl ist in den Blick zu nehmen. Papst Franziskus greift diese Aussagen in seiner öko-sozialen Enzyklika Laudato si‘ (2015) wieder auf. Er schreibt: „Das Gemeinwohl geht vom Respekt der menschlichen Person als solcher aus mit grundlegenden und unveräußerlichen Rechten im Hinblick auf ihre ganzheitliche Entwicklung. Es verlangt auch das soziale Wohl und die Entfaltung der verschiedenen intermediären Gruppen, indem es das Prinzip der Subsidiarität anwendet. Unter diesen ragt besonders die Familie als Grundzelle der Gesellschaft heraus. Schließlich erfordert das Gemeinwohl den sozialen Frieden, das heißt die Stabilität und die Sicherheit einer bestimmten Ordnung, die ohne eine spezielle Aufmerksamkeit gegenüber der distributiven Gerechtigkeit nicht zu verwirklichen ist, denn die Verletzung dieser Gerechtigkeit erzeugt immer Gewalt. Die gesamte Gesellschaft – und in ihr in besonderer Weise der Staat – hat die Pflicht, das Gemeinwohl zu verteidigen und zu fördern.“ (Laudato si‘ Nr. 157)
Konkreter kann man mit Bambergs Erzbischof Dr. Ludwig Schick (1) auf drei wesentliche Elemente des so verstandenen Gemeinwohls verweisen:
- „Das Gemeinwohl beruht auf der Achtung der Würde und der unveräußerlichen Grundrechte jeder Person. Der Mensch kann sich nur dann entfalten und sein Glück finden, wenn ihm das Recht zum Handeln nach der rechten Norm seines Gewissens, das Recht auf Schutz des Privatlebens und auf die rechte Freiheit, und zwar auch im religiösen Bereich (Gaudium et spes Nr. 26) ermöglicht wird.
- Das Gemeinwohl verlangt das ‚soziale Wohl‘ und die Entwicklung der Gemeinschaft. Dazu gehört, was für ein wirklich menschliches Leben notwendig ist: Nahrung, Kleidung, Wohnung, Gesundheitsfürsorge, Arbeit, Bildung, Information und Recht auf Ehe und Familie.
- Zum Gemeinwohl gehören schließlich der Friede und die Sicherheit durch eine funktionierende öffentliche Gewalt und durch den Rechtsschutz der Verteidigung vor Gericht.“
Eine wichtige Folgerung aus diesem Verständnis von Gemeinwohl ist die allgemeine Bestimmung der Güter dieser Welt, die unter anderem die Sozialpflichtigkeit des Privateigentums, die effektive Möglichkeit des Erwerbs von Eigentum für alle, die Hilfe von Menschen in extremen Notlagen, die Solidarität mit Entwicklungsländern und eine effektive Option für die Armen, für den Arten-, Boden-, Gewässer- und Klimaschutz sowie das strikte Eingrenzen der privaten Ausbeutung natürlicher Ressourcen verlangt, und die nicht nur die Arbeit der Kirche, sondern jedes wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Handeln bestimmen muss.
Die Idee des Gemeinwohls ist im Sinn der kirchlichen Soziallehre eng mit der Idee der Solidarität verbunden, die verstanden wird als „die feste und beständige Entschlossenheit, sich für das ,Gemeinwohl‘ einzusetzen“ (Sollicitudo rei socialis Nr. 38) und als ein Ordnungsprinzip für Institutionen, das hilft ,Strukturen der Sünde‘ zu überwinden und Strukturen der Solidarität zu schaffen: „Jeder Einzelne und die gesellschaftlichen Gruppen können und müssen zur Verwirklichung des Gemeinwohls beitragen, und sie sind im Rahmen ihrer Möglichkeiten dazu auch aufgerufen. In erster Linie ist das Gemeinwohl jedoch die ethische Orientierungsgröße für die strukturierte politische Gemeinschaft. Beim Gemeinwohl geht es um den Zustand und die Ausrichtung der verfassten Gesellschaft, der polis, also zum Beispiel der Stadt oder des Staates, auf das Wohl aller.“(2)
Fußnote
(1+2) Aus: L. Schick, Auf dem Weg zu einer Politik des Weltgemeinwohls. In: Kompass 3/2012, S. 6