„Glaube und Gerechtigkeit gehören zusammen“
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„Glaube und Gerechtigkeit gehören zusammen“

Landgrabbing ‐ Im Netzwerk Afrika Deutschland haben sich über 40 katholische Ordensgemeinschaften zusammengetan, die in Afrika Missions- und Entwicklungsarbeit leisten. Eines der vielen Themen, zu denen das Netzwerk Lobbyarbeit betreibt, ist das Landgrabbing. Pater Wolfgang Schonecke MAfr erklärt im Gespräch mit Lena Kretschmann, warum.

Erstellt: 27.09.2012
Aktualisiert: 27.07.2022
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Im Netzwerk Afrika Deutschland haben sich über 40 katholische Ordensgemeinschaften zusammengetan, die in Afrika Missions- und Entwicklungsarbeit leisten. Eines der vielen Themen, zu denen das Netzwerk Lobbyarbeit betreibt, ist das Landgrabbing. Pater Wolfgang Schonecke MAfr erklärt im Gespräch mit Lena Kretschmann, warum.

Frage: Pater Schonecke, Sie haben 30 Jahre in Afrika gearbeitet. Was hat Sie bewogen, sich jetzt beim Netzwerk Afrika Deutschland zu engagieren?

P. Schonecke: Nach der Unabhängigkeit der afrikanischen Länder haben Missionare viel Zeit und Ressourcen in Entwicklungsprojekte investiert, vor allem in den Bereichen Bildung, Gesundheitswesen und Landwirtschaft. In den 80er Jahren wurde uns klar, dass die Armut in Afrika auch von vielen äußeren Faktoren abhängig ist, wie zum Beispiel die europäische Handelspolitik oder die Strukturanpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds. Wir wollten unsere kleine Stimme auch in die Diskussion über globale Ungerechtigkeitsstrukturen einbringen. So gründeten wir in Europa und in den USA Büros, um uns bei den Mächtigen dieser Welt für die Anliegen Afrikas einzusetzen. Glaube und Gerechtigkeit gehören für uns zusammen.

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Frage: Wie sieht denn Ihre Lobbyarbeit aus? Können Sie uns Beispiele geben?

P. Schonecke: Der größte Skandal unserer Zeit ist, dass in einer Welt von Überfluss eine Milliarde Menschen jeden Tag hungrig ins Bett gehen; jede Sekunde sterben drei Kinder an Hunger. Jean Ziegler, ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, sagte treffend: „Wenn ein Kind heute an Hunger stirbt, ist das ein Mord.“ Die deutschen Bischöfe haben kürzlich die Ursachen dieses himmelschreienden Skandals in der Erklärung „Die Geisel des Hungers überwinden“ dargestellt. Die Hauptursachen sind nicht Naturkatastrophen, sie sind vielmehr von Menschen zu verantworten: Nahrungsmittelspekulation, unsere Biospritpolitik, der Klimawandel und auch das sogenannte „Landgrabbing“. Die kritische Zivilgesellschaft bezeichnet damit die großflächige Übernahme von Land, ohne dass die Rechte der einheimischen Bevölkerung hinreichend berücksichtigt werden. Die Schätzungen für solche Landübernahmen weltweit schwanken zwischen 80 und über 200 Millionen Hektar. Die Verträge darüber sind völlig intransparent.

Woher kommt es, dass sich plötzlich so viele für Land interessieren?

P. Schonecke: Die Jagd auf Land ist eine Folge der verschiedenen Krisen, die uns bedrohen. Seit der Finanzkrise 2008 suchen Investoren nach sicheren und profitablen Investitionsmöglichkeiten. Land und Nahrungsmittel gehören zu den attraktivsten. Im gleichen Jahr gab es eine Nahrungsmittelkrise: Die Weltmarktpreise für Weizen, Mais und Reis verdoppelten sich. In vielen Städten des Südens gab es Hungerrevolten. Länder, die von Importen abhängen, wie zum Beispiel die Golfstaaten, begannen, riesige Landflächen im Ausland aufzukaufen, um den Bedarf ihrer eigenen Bevölkerung abzusichern. Beigetragen hat auch die Biospritregelung der EU. Für den Anbau von Energiepflanzen braucht man viel Land, das der Nahrungsmittelproduktion entzogen wird.

Frage: Was sind die langfristigen Folgen des Landraubs?

P. Schonecke: Kurzfristig sind es massive Menschenrechtsverletzungen. Die Kleinbauern in den Ländern des Südens werden oft von ihrem Land vertrieben, um Platz für die Projekte von Großinvestoren zu machen. Sie haben vielfach keine offiziellen Landtitel und können somit auch ihr Recht nicht einklagen. Gravierender ist, dass wir weltweit in eine Form von Landwirtschaft investieren, die ohne Kunstdünger und Pestizide nicht auskommt und langfristig nicht nachhaltig ist. Die Plantagenwirtschaft mit ihren riesigen Monokulturen zerstört zudem die Artenvielfalt.

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Frage: Was lässt sich gegen diese moderne Landnahme machen?

P. Schonecke: Es ist ein Kampf wie David gegen Goliath. Die Politik scheint vor der Übermacht des Marktes kapituliert zu haben. Die Hoffnung liegt auf der Zivilgesellschaft. Die Politik reagiert nur auf Druck von unten. Es gilt also, die Bevölkerung in den betroffenen Ländern zu informieren und zu mobilisieren. Die Kirche kann da einen großen Beitrag leisten. 2009 haben wir mit Misereor, FIAN und Caritas beim Weltsozialforum im Senegal einen internationalen Workshop veranstaltet, um Erfahrungen im Widerstand gegen Landgrabbing auszutauschen. Seit Mai dieses Jahres gibt es ein wichtiges völkerrechtliches Instrument in Form der sogenannten „Freiwilligen Leitlinien zur verantwortungsvollen Regelung des Besitzes von Land“ der Welternährungsorganisation. Darin sind auf die Menschenrechte basierte Standards für Landübernahmen formuliert, die man von den Regierungen einfordern kann. Auch die Kirche könnte hier viel tun, die Durchsetzung dieser Leitlinien einzufordern.

... was ganz auf der Linie der kirchlichen Soziallehre liegen würde.

P. Schonecke: Genau. Der Papst betont immer wieder, dass die Krise unserer Zeit eine ethische und eine anthropologische ist, die nicht mit rein technischen Mitteln zu lösen ist. Sie fordert ein Umdenken, eine andere Sicht des Menschen und der Schöpfung, auch eine andere Vision von Land. Im traditionellen Afrika ist Land keine kommerzielle, käufliche Ware. Sie ist Ort der Ahnen, von ihnen ererbt für kommende Generationen. Sie stiftet Identität für den Einzelnen und die Gemeinschaft. Die Bibel hat eine ähnliche Sicht auf das Land. „Land gehört mir“, sagt Gott. Es gehört zu den globalen Gemeingütern, würden wir heute sagen. Wir wissen, dass die fortschreitende Kommerzialisierung aller Lebensbereiche den Einzelnen und die Gesellschaft zerstört. Wir brauchen eine andere Vision der Dinge. Die christliche Soziallehre könnte da einen großen Beitrag leisten. Kirche muss sich mehr in die spannende Diskussion über die notwendigen „Transformationsprozesse“ einbringen.

Frage: Und was kann der Einzelne beitragen?

P. Schonecke: Es gibt kaum ein aktuelleres Wort Jesu, als sein Erstes: „Kehrt um!“, was auch übersetzt werden kann mit: „Denkt um, denkt jenseits (der existierenden Werteordnung)!“. Ein Blick auf die Themenseite von weltkirche.katholisch.de könnte ein Anfang sein. Seinen Lebensstil und das persönliche Kaufverhalten am „ökologischen Fußabdruck“ zu messen, wäre ein zweiter. Wenn möglich, kann man sich in einer der vielen Gruppen engagieren, die in Kirche, Politik, Gesellschaft und Wissenschaft aktiv sind. Wir sollten alle mehr nachdenken, wie eine gerechtere Welt und eine nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsweise aussehen könnte. Das ist anspruchsvoll, aber eröffnet neue Sichtweisen, auch auf die Art und Weise, wie wir mit der lebensnotwendigen Ressource Land umgehen.

Vielen Dank für das Interview, Pater Schonecke.

www.netzwerkafrika.de

Zur Person

Nach dem Studium der Theologie und Philosophie in Deutschland und England, schloss sich Pater Wolfgang Schonecke MAfr der Gemeinschaft der Afrikamissionare (Weiße Väter) an. Er engagierte sich mehr als 30 Jahre lang in Pfarreien, Entwicklungsprojekten und Bildungsprogrammen, unter anderem in Uganda und Kenia. Seit 2001 ist er Leiter des Berliner Büros des Netzwerks Afrika Deutschland (NAD).

Land Matrix

Auf der Land Matrix-Webseite kann man anhand von Grafiken und interaktiven Karten Landnahmen durch ausländische Investoren nachverfolgen. Die Land Matrix ist die erste systematische Erfassung von mehr als 1.217 internationalen Landtransaktionen über 200 Hektar der vergangenen zehn Jahre - und jeder kann Fälle von Landgrabbing melden. Diese werden von den Betreibern geprüft und nach Verifizierung online gestellt. So wächst die Datenbasis stetig an. Das Projekt wurde unter anderem von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), der International Land Coalition (ILC) und internationalen Forschungseinrichtungen ins Leben gerufen.

Von Lena Kretschmann