„Diese Worte bewegen mich auch heute“
Aggiornamento, Dienst am Reich Gottes, Kirche der Armen – diese Leitgedanken ließ Papst Johannes XXIII. bereits zu Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils in seiner Rundfunkbotschaft und der wegweisenden Eröffnungsrede anklingen.
Aktualisiert: 11.07.2015
Lesedauer:
Aggiornamento, Dienst am Reich Gottes, Kirche der Armen – diese Leitgedanken ließ Papst Johannes XXIII. bereits zu Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils in seiner Rundfunkbotschaft und der wegweisenden Eröffnungsrede anklingen.
In der „Botschaft der Konzilsväter an die Welt“ vom 20. Oktober 1962 nehmen die Konzilsväter den Grundimpuls von Johannes XXIII. auf und bekunden ihre Sorge um den Frieden in der Welt und um die soziale Gerechtigkeit. Die Botschaft der Konzilsväter wurde vor genau 50 Jahren veröffentlicht; für Erzbischof Dr. Werner Thissen hat sie nichts an Aktualität verloren.
Frage: Herr Erzbischof, welche Erinnerungen haben Sie an das Zweite Vatikanische Konzil?
Erzbischof Thissen: In der Zeit des Konzils war ich Student von Professor Ratzinger in Münster. Nach jeder abgelaufenen Konzilsphase gab es eine Vorlesungsreihe. Freimütig und offen schilderte er die Abläufe, Spannungen und Diskussionslinien des Konzils. Es waren mitreißende Vorlesungen, die mein Bild vom Konzil maßgeblich geprägt haben.
Frage: Die Botschaft der Konzilsväter an die Welt stellt die Sorge der Kirche um den Frieden und die soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt. Wie aktuell ist diese Botschaft?
Erzbischof Thissen: Die Botschaft der Konzilsväter ist – wie alle Dokumente des Konzils – von einem tiefen, pastoralen Engagement für die Menschen geprägt. Damit steht sie in der Tradition der kirchlichen Soziallehre, wie sie sich seit dem 19. Jahrhundert entwickelt hat. Die Konzilsväter schreiben in ihrer Botschaft vom 20. Oktober 1962: „Alle Lebensangst, die die Menschen quält, brennt uns auf der Seele. Unsere erste Sorge eilt deshalb zu den ganz Schlichten, zu den Armen und Schwachen. In der Nachfolge Christi erbarmen wir uns über die vielen, die von Hunger, Elend und Unwissenheit geplagt sind. Wir fühlen uns mit allen jenen solidarisch, die noch kein menschenwürdiges Leben führen können, weil es ihnen an der rechten Hilfe fehlt.“ Diese Worte bewegen mich auch heute. Denn weiterhin gibt es eine Lebensangst, deren Ursachen ungerechte Strukturen, Gewalt und Unterdrückung sind.
Frage: Sie sind der Vorsitzende der Misereor-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz. Wo haben Sie schon große Not erlebt?
Erzbischof Thissen: Bei meinen Reisen mit Misereor – zuletzt nach Äthiopien – erfahre ich viel von der Not der Menschen: in der Landwirtschaft, wenn nicht genügend Saatgut oder Wasser da ist; in Krankenhäusern, wenn die Medikamente nicht ausreichen; in Gefängnissen, wenn dort Gewalt und Hunger herrschen. Meine Reisen machen mir aber stets sehr deutlich, dass viele Menschen sich um eine Besserung der Lebensumstände für die Armen bemühen. Vor allem die Armen selbst. Misereor macht Hoffnung. Dafür bin ich sehr dankbar.
Frage: Wie würden Sie das geistliche Erbe des Konzils auf den Punkt bringen?
Erzbischof Thissen: Das Konzil hat entscheidend zur Erneuerung der Kirche in unserer Zeit beigetragen. Die Konstitutionen und Dekrete, über welche die Konzilsväter zwischen 1962 und 1965 entschieden haben, helfen uns weiterhin, die Herausforderungen in der Welt ohne Scheu und mit einem weiten pastoralen Herz anzugehen. Zum Erbe des Konzils gehört auch, dass es uns eine Diskussionskultur mitgegeben hat, die unserer Arbeit in der Kirche auch heute gut tut.
Frage: Die Botschaft der Konzilsväter steht in der Erwartung einer geistigen Erneuerung der Christen und der Kirche. Wie würden Sie diese Erwartung heute konkret ausdrücken?
Erzbischof Thissen: Die Erneuerung geschieht um uns herum an vielen Orten und in vielen Gemeinschaften. Weltweit. Sie geschieht im Denken und Handeln, Beten und Singen. Es macht mir vor allem Mut, dass sich viele Laien engagiert für die Kirche vor Ort, aber auch für die Weltkirche einsetzen. Das ist eine unmittelbare Frucht des Konzils.
Das Interview führte Lena Kretschmann.