Worte für das Unaussprechliche
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Worte für das Unaussprechliche

Es ist der Moment in dem eigentlich der Abspann beginnt, weil der Film zu Ende, die Geschichte erzählt ist. Die Flucht ist geglückt. Zehn Jahre Haft, Folter und Verfolgung liegen hinter der jungen Journalistin aus der Türkei, die es wagte, gegen das System aufzubegehren. Nun ist sie in Deutschland angekommen und alles wird gut.

Erstellt: 06.02.2014
Aktualisiert: 08.02.2023
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Es ist der Moment in dem eigentlich der Abspann beginnt, weil der Film zu Ende, die Geschichte erzählt ist. Die Flucht ist geglückt. Zehn Jahre Haft, Folter und Verfolgung liegen hinter der jungen Journalistin aus der Türkei, die es wagte, gegen das System aufzubegehren. Nun ist sie in Deutschland angekommen und alles wird gut.

Genau diese Vorstellung vom sicheren Hafen hat Petek Türkmann aufrecht gehalten auf ihrem Weg aus der Türkei – krank und gezeichnet, unter falschem Namen, ihr Schicksal in den Händen von Schleppern. Und dann geht ihr Alptraum in die zweite Runde, als sie erkennt, dass Deutschland sie mit verschränkten Armen empfängt. Dass die Sicherheit trügerisch ist und die Anerkennung ihres Aufenthalts ungewiss. In diesem Moment will sie einfach nur sterben.

Dass Petek ins Leben zurückgefunden hat, heute mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter in Köln lebt und gerne wieder als Journalistin arbeiten würde, verdankt sie dem Therapiezentrum für Folteropfer der Caritas in Köln. Etwa 900 Menschen aus Ländern wie Iran, Irak, Russland, der Türkei oder Afghanistan finden hier Zuflucht und zum ersten Mal wieder zu sich selbst.

„Alle Konflikte und Katastrophen spiegeln sich in unserem Zentrum wieder“, sagt Leiterin Brigitte Brand-Wilhelmy. Auch wenn die Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen kommen, eint sie doch ihre Geschichte. Viele haben Unaussprechliches erlebt, für das sie hier langsam Worte finden, um es sich erstmals von der Seele zu reden.

Bild: © Janina Mogendorf/katholisch.de

Erstmal Stabilität schaffen

Zwischen zwei und vier Jahren dauert eine Therapie. „Wir müssen Menschen wie Petek erst einmal stabilisieren“, sagt Brand-Wilhelmy. Das heißt, die Rahmenbedingungen müssen stimmen, eine grundlegende Sicherheit gewährleistet sein, bevor man überhaupt mit der Therapie beginnen kann. Dazu gehört die Anerkennung des Aufenthaltes ebenso wie Wohnraum oder eine finanzielle Absicherung.

Unter den Flüchtlingen sind viele Kinder und Jugendliche. „Weltweit gesehen ist jeder zweite Mensch auf der Flucht minderjährig“, macht Frank Hensel, Diözesan-Caritasdirektor für das Erzbistum Köln deutlich und wirbt zugleich um einen milderen Umgang mit den unbegleiteten jungen Flüchtlingen. Die gängige Praxis sei derzeit, das Alter der Ankömmlinge ärztlich über Röntgenuntersuchungen und „Inaugenscheinnahme“ zu bestimmen.

„Dieses Verfahren ist ungenau und kann erhebliche Nachteile und rechtliche Konsequenzen für die jungen Menschen mit sich bringen“, kritisiert Hensel. „Von der ethischen Fragwürdigkeit ganz zu schweigen.“ Werden die jungen Flüchtlinge als volljährig eingeschätzt, kommen sie nicht in Einrichtungen der Jugendhilfe unter, erhalten keinen Vormund, keinen Deutschkurs und keine Schulbildung. „Außerdem müssen sie sich alleine um ihr aufenthaltsrechtliches Verfahren kümmern“, so Hensel.

„Wir mussten einfach weg“

Der Caritas-Direktor des Erzbistums spricht sich dafür aus, die Jugenddefinition der Vereinten Nationen auch in Deutschland zu übernehmen. Danach sind alle Flüchtlinge unter 20 als Jugendliche oder junge Heranwachsende zu betrachten. „Und das ist durchaus gerechtfertigt, denn diesen Menschen wurde die Jugend gestohlen.“ So ergangen ist es auch Ali G., dessen echter Name nicht genannt werden darf, weil er sich noch im Anerkennungsverfahren befindet.

Als 16-Jähriger verließ der junge Afghane gemeinsam mit seiner Familie in einer Nacht- und Nebelaktion die Heimatstadt Kabul. „Wir hatten kein Ziel, wir mussten einfach weg!“, berichtet der junge Mann, der in Afghanistan zur verfolgten schiitischen Minderheit gehört. Über den Iran, die Türkei und Griechenland ging die Flucht, bis Ali sieben Monate später Deutschland erreichte. Allein. Seine Eltern und die beiden kleinen Schwestern hatte er in der Türkei verloren und bis heute nichts mehr von ihnen gehört.

Auch Ali ist Klient im Kölner Therapiezentrum für Folteropfer. Der heute 19-Jährige lebt in einer Wohngruppe mit anderen Jugendlichen zusammen, hat bereits seinen Hauptschulabschluss nachgemacht und geht nun zur Realschule. Beruflich würde er gerne etwas in Richtung Computer-Design machen, sagt er mit wachem Blick, in dem in diesem Moment nichts von seiner harten Vergangenheit zu lesen ist, sondern Hoffnung auf die Zukunft.

„Eine Bereicherung für unser Land“

„Die Flüchtlinge, die zu uns kommen sind keine Opfer, sondern starke Persönlichkeiten“, ist die Erfahrung von Zentrumsleiterin Brand-Wilhelmy. „Sie sind eine Bereicherung für unser Land." Nicht umsonst blieben viele Traumata lange Zeit unentdeckt. „Die Menschen schaffen es, damit zu leben und keiner merkt es. Das Trauma wird eingekapselt“, beschreibt es Psychologin Hamidiye Ünal, die ebenfalls im Zentrum arbeitet.

„Die Flüchtlinge, die zu uns kommen sind keine Opfer, sondern starke Persönlichkeiten.“

—  Zitat: Brigitte Brand-Wilhelmy, Leiterin des Therapiezentrums der Caritas für Folteropfer

Irgendwann aber, wenn die Kraft nachlasse, komme alles wieder hoch. Das kann im Alter passieren oder wenn eine Abschiebung droht. Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen und verstörende Flashbacks, bei denen die Patienten alles nochmal durchleben, sind die Folge. „Sie landen dann oft mit den typischen Trauma-Symptomen in der Psychiatrie und brauchen die gleiche Hilfe, wie Flüchtlinge, die gerade erst in Deutschland angekommen sind.“

Menschen mit Foltererfahrung haben trotz allem eine Chance auf ein normales Leben, wenn sie eine spezielle Traumatherapie erhalten. „Es geht darum, Selbstkontrolle wieder zu gewinnen“, erklärt Brand-Wilhelmy. Das lernen Männer, Frauen und Jugendliche auf kreativem Wege in der Gruppentherapie und in der Konfrontation mit ihrer Angst, ihrer Wut und der Ohnmacht. Wenn verschüttete Emotionen ans Licht kommen, können sie verarbeitet werden.

Stößt die Traumatherapie auch an Grenzen? „Natürlich kann alles immer wieder hochkommen“, sagt Band-Wilhelmy. „Es ist ein lebenslanger Prozess mit dem Erlebten klarzukommen. Aber wir können in unserem Zentrum die Weichen für den weiteren Lebensweg dieser Menschen verschieben.“

Von Janina Mogendorf

Caritas Kampagne

Das Kölner Therapiezentrum für Folteropfer wurde im Rahmen der diesjährigen Caritas-Kampagne Weit weg ist näher, als du denkst! vorgestellt.