Bürgerkrieg und Versöhnungsbotschaft
In der Nacht vom 9. zum 10. Mai 2014 haben die Führer der beiden Bürgerkriegsparteien im Südsudan eine Friedensvereinbarung unterzeichnet, die neben dem Ende der brutalen Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Stämmen der Dinka und Nuer auch die Bildung einer Übergangsregierung innerhalb von 24 Stunden vorsah. Die kurze Hoffnung auf Frieden in dem geschundenen Land wurde danach immer wieder durch Verstöße gegen die Waffenruhe enttäuscht.
Aktualisiert: 30.11.2022
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In der Nacht vom 9. zum 10. Mai 2014 haben die Führer der beiden Bürgerkriegsparteien im Südsudan eine Friedensvereinbarung unterzeichnet, die neben dem Ende der brutalen Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Stämmen der Dinka und Nuer auch die Bildung einer Übergangsregierung innerhalb von 24 Stunden vorsah. Die kurze Hoffnung auf Frieden in dem geschundenen Land wurde danach immer wieder durch Verstöße gegen die Waffenruhe enttäuscht.
Wie es weitergeht in dem Land, das erst seit im Juli 2011 seine Unabhängigkeit vom Nordsudan errungen und seinen eigenständigen Status als 54. Land Afrikas errungen hat, weiß niemand. Die Berichte, in denen der aus Ellwangen stammende Comboni-Missionar Br. Hans Eigner an Ostern die Vorkommnisse im Südsudan schildert, stellen auch über die aktuellen Ereignisse hinausweisende zeitgeschichtliche Dokumente dar, die die Hintergründe von Flüchtlingselend anschaulich machen. Zugleich sind sie Zeugnisse christlicher Versöhnungsethik – trotz allem, was dieser entgegen steht. Aus verschiedenen Briefen von Br. Hans Eigner aus Juba stellte die Redaktion der Zeitschrift „Der geteilte Mantel“ der Diözese Rottenburg-Stuttgart folgenden Beitrag zusammen:
Eine trügerische Freude
Was war es doch für eine Freude, als am 9. Juli 2011 die Menschen des Südsudans nach Jahrzehnte langem Bürgerkrieg ihre Unabhängigkeit von dem islamistischen Norden feiern konnten. Noch sind mir die Bilder der überschwänglichen Freude und der Feiern im Gedächtnis, und ich habe mir damals gedacht: „So kann nur Afrika feiern“. Viel zu lange hat es gedauert, bis sich die vielen Stämme des Südens als Menschen mit Würde erfahren durften. Aber kaum zweieinhalb Jahre danach steht das 54. Land Afrikas wieder im Krieg. Dieses Mal nicht gegen einen gemeinsamen Feind, sondern die beiden großen Stämme, die Dinka und Nuer, stehen sich feindlich gegeneinander. Korruption, Nepotismus und Streit um die Macht haben den Konflikt hervorgerufen. Aber bereits in den beiden Kriegen vor der Unabhängigkeit hatten schwere interne Kämpfe mehr Tote gefordert als die Kämpfe gegen den Feind im Norden.
Der Riss des Völkermords geht durch die junge Nation
Nach der Staatenbildung im Juli 2011 wollten natürlich alle, die sich im Krieg „verdient“ gemacht hatten, einen guten Platz in der Regierung. Die neue Regierung entstand aus Politikern, die einen militärischen Hintergrund hatten und entsprechend das Land bis heute führen. Für sie ist ein Krieg nicht „The end oft the world“, sondern „Normalsituation“. Korruption und „Vetternwirtschaft“ wurden zur Tagespolitik, und schnell kam es zu Uneinigkeiten und Streitigkeiten. Das bevölkerungsreichste Volk der Dinkas schaffte es, sich an die Spitze zu setzen und machte sich in allen Ämtern und einflussreichen Stellen breit. Das zweitgrößte Volk, das der Nuer, bekam den Vizepräsidenten. Sie stell(t)en aber fast 70 Prozent des Militärs, weil sie die besten „Krieger“ und Kämpfer, schon in der Zeit der Kriege mit dem Norden, waren.
Der Vizepräsident wurde Mitte 2013 entlassen und der Präsident baute sich eine Privatarmee aus seinen Stammesgenossen, den Dinka, auf. Am 15. Dezember 2013 kam es zu einem als Militärcoup bezeichneten Überfall auf eine Kaserne in Juba, der sich blitz- schnell in einen völkermordähnlichen Konflikt gegen die Nuer ausweitete. Seit diesem Tag geht ein großer Riss durch die junge Nation. Bei der Meuterei innerhalb der Armee, bei der die Soldaten vom Stamm der Nuer entwaffnet werden sollten, sind große Grausamkeiten geschehen. Im Nu kam es zu Massakeren selbst an der Zivilbevölkerung. Besonders betroffen waren die Leute vom Stamm der Nuer. Nicht alle schafften es, in die beiden Einrichtungen der Vereinten Nationen im Süd Sudan (UNMISS) zu flüchten. Dort sind jetzt ca. 47.000 Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht und warten auf ihre „Befreier“. So sind sie für die Regierung hier in Juba ein Risiko. Im Ölreichen Norden, im Land der Nuer, wo die Haupteinnahmequellen des Landes liegen, wird mit der gleichen Brutalität vergolten und gekämpft wie zuvor in Juba. Hier vertreiben die Nuer die Dinka und alle „Dinkafreundlichen“ Stämme. Denn Rache ist ein „Wert“. Wie so oft in Afrika werden Jugendliche aus denn Cattlecamps (Hirtenjungen) für den Krieg als Kanonenfutter angeheuert, während die Reichen und die Politiker und Militärs ihre Kinder im Ausland studieren lassen.
An der Schwelle zu einem regionalen Konflikt?
In der Zwischenzeit zählen wir fast eine Million Flüchtlinge im eigenen Land, die in verschiedene Flüchtlingslager – zum Teile unter dem Schutz der UN – oder auch nach Uganda, Kenia, Äthiopien und in den Nordsudan geflohen sind. Die meisten sind jetzt schon in einer prekären Situation mit wenig oder fast gar keiner Nahrung. Dazu kommen ca. 20.000 Tote in den vergangenen Monaten. Wäre nicht Ende Dezember die Armee von Uganda in Juba und weiter im Norden bei Malakal eingeschritten, hätten wir wahrscheinlich bereits eine andere Regierung in Juba, denn nachdem so viele Nuer-Soldaten von der SPLA, der Regierungsarmee, in die sogenannte „SPLA in Opposition“, der Armee der Nuer, übergelaufen sind, ist die Regierungsarmee enorm geschwächt und braucht Hilfe von außen. Die Gefahr, dass sich der Krieg zu einem regionalen Konflikt ausweitet, liegt nahe, denn leider gibt es sehr viele militärische Gruppierung in diesem Teil Afrikas, die sich – gegen Geld – als Kriegssöldner anheuern lassen und heute hier und morgen dort kämpfen.
Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist, dass man nicht weiß, auf welcher Seite die mehr als 60 kleineren Völker des Landes stehen. Die Dinka und die Nuer machen nur etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Südsudan aus, wobei das Volk der Dinka doppelt so groß ist wie das der Nuer. Mit Sicherheit sind die kleineren Völker mit der Regierung nicht zufrieden, sie trauen aber auch der sogenannten „SPLA in Opposition“ nicht. Diese hat – vor allem mit ihrer „White Army“ (Weiße Armee = Wilde Jungs aus den Cattlecamps, die sich zum Schutz vor Mosquitios mit Asche beschmieren) böse Vergeltungsschläge in den drei hauptsächlich von Nuer bewohnten Regionen (oder Bundesländern) Unity, Jonglei und Upper Nile verübt, die man nur als Kriegsverbrechen bezeichnen kann.
Die schwierige Botschaft von der Versöhnung im Flüchtlingslager
Gemeinsam mit P. Raimondo war ich zweimal in den Juba-Camps der Vereinten Nationen, und wir haben die Flüchtlinge „im eigenen Land“ besucht und Gottesdienst mit ihnen gefeiert. Es ist immer schön, mit den Nuer in den Lagern den Gottesdienst zu feiern. Sie sind gut organisiert und haben sogar die Ministrantengewänder und verschiedene Gottesdienstgegenstände bei der Flucht ins Lager mitgebracht. Der Chor fängt an zu singen und hört gar nicht mehr auf. So dauern die Feiern manchmal drei Stunden. Die Lesungen in der Fastenzeit und jetzt über die Karwoche auf Ostern hin waren immer eine große Herausforderung für die Christen im Lager. Feindesliebe, Versöhnung, Friede sind schwer nachzuvollziehen, wenn die Wunden so tief, die Ohnmacht so überwältigend und die Erniedrigung so groß ist. Die Parallele zu Jesu Leidensweg liegt nahe.
Am Palmsonntag war der ehemalige Bischof von Torit, Paride Taban mit dabei. Unermüdlich setzt er sich um Friedensgespräche ein, besucht Flüchtlingslager und auch die kleineren Volksgruppen, die in diesem Konflikt an den Rand gedrängt worden sind. Er ist hier eine Autorität und er ist der einzige, der die Dinge beim Namen nennen kann. In den Sonntagslesungen der Fasten- und Passionszeit spricht Jesus von der Feindesliebe: „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin“.
Es war eine eigenartige Stimmung in mir, als ich diesen den Text vorgelesen habe. Nur als Wort Gottes konnte ich es vortragen, selber hätte ich– angesichts der erfahrenen Brutalität – keinen Ratschlag zu geben gewagt. Viele hier haben ihre Verwandten, Familienmitglieder, Hab und Gut, ja alles verloren. Bischof Paride hat dann in seiner Predigt gesagt, dass die erbarmungslose Rache das Land nicht nur blind und zahnlos macht, sondern auch irgendwann andere das Land bewohnen werden. Das waren starke Worte, die nur er sagen konnte. Gebetsmühlenartig hat er 20 Haltungen aufgezählt, die er sich selbst täglich zuspricht, um nicht in die allzu menschliche Spirale der Gewalt und Ablehnung des Nächsten zu geraten: Mit großer Innigkeit hat er aufgezählt und gleich viermal wiederholt: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Mitleidensbereitschaft, Sympathie, Freundlichkeit, Wahrhaftigkeit, Güte, Selbstkontrolle und Demut, Armut, Versöhnung, Barmherzigkeit, Freundschaft, Vertrauen, Einigkeit, Reinheit, Glaube und Hoffnung. Mit diesen Worten und dem Aufruf zum Gebet für die Nation hat Bischof Paride den Gottesdienst beendet.
Von Br. Hans Eigner, Comboni-Missionar
Aus: Der Geteilte Mantel. Ausgabe 2014. Mit freundlichem Dank für die Abdruckgenehmigung.