„Die Zustände sind katastrophal“
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„Die Zustände sind katastrophal“

Seitdem die Gewalt zwischen den zwischen Aufständischen und Regierungstruppen im Dezember eskaliert ist, sind mehr als 1,5 Millionen Menschen im Südsudan auf der Flucht. Die Ethnie der Dinka, der auch Präsident Salva Kiir angehört, und diejenige der Nuer, die gesammelt hinter dem früheren Vizepräsidenten Riek Machar steht, bekämpfen sich bis aufs Blut. Der Comboni-Missionar Pater Gregor Schmidt lebt seit März 2009 im Südsudan – mitten im Rebellengebiet der Nuer. Mit dem Internetportal Weltkirche sprach er über die drohende Hungersnot, die Situation der Flüchtlinge und eine langfristige Friedenslösung.

Erstellt: 07.08.2014
Aktualisiert: 24.04.2023
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Frage: Die Vereinten Nationen warnen vor einer riesigen Hungerkatastrophe im Südsudan. Was spielt sich derzeit im Land ab?

Schmidt: Die Nothilferationen der Vereinten Nationen können ausschließlich über Luftbrücken hergebracht werden. Im Februar kamen die Helfer der UN auch in unser County Old Fangak. Damals gab es hier nur 10.000 Flüchtlinge – inzwischen sind es schon 50.000.

Frage: Warum flüchten so viele Menschen gerade nach Old Fangak?

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Schmidt: Aus allen drei Bundesstaaten unseres Diözesangebiets – Upper Nile, Unity und Jonglei – sind Menschen zwangsvertrieben worden. Aufgrund des unzugänglichen Territoriums ist unser County eine sichere Insel, die bisher nicht angegriffen wurde. Daher konnten die Bauern bei uns auch ihre Felder bestellen. Ein Großteil der Vertriebenen findet bei Verwandten Unterschlupf und wird dort auch mit Lebensmitteln versorgt.

Frage: Wie ist die Situation in den Flüchtlingslagern?

Schmidt: Weniger als zehn Prozent von den über eine Million Binnenflüchtlingen leben in UN-Flüchtlingslagern. Die Zustände dort sind katastrophal. Während der Regenzeit steigt in den Camps die Seuchengefahr. Täglich sterben Menschen an Cholera. Es gibt vielleicht eine Toilette für 200 Personen. Im Flüchtlingslager in der Hauptstadt Juba gibt es noch nicht einmal Platz für eine Schule.

Frage: Sie leben mitten im Rebellengebiet bei den Nuer. Wie verhalten Sie sich als Missionar, der eigentlich die Botschaft des Friedens und der Versöhnung verbreitet?

Schmidt: Die Bevölkerung in Old Fangak betet dafür, dass die Nuer den Kampf gewinnen, zum Beispiel in den Fürbitten im Gottesdienst. Das unterbreche ich auch nicht. Natürlich treten wir Missionare für Versöhnung ein und drängen aus christlicher Sicht darauf, dass Dinka und Nuer miteinander in Frieden leben. Dabei dürfen wir jedoch nicht vergessen, dass wir nur Gäste im Land sind. Unsere Botschaft wird zwar gehört, aber wir dürfen nicht erwarten, dass die Menschen auch danach handeln.

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Frage: Ist das nicht manchmal ermüdend?

Schmidt: Es ist natürlich frustrierend zu sehen, wie eine ganze Region zerbricht. Aber es ist für mich auch eine Glaubensaussage, wenn ich vor Ort bei den Menschen bleibe und für Frieden und Versöhnung bete – auch wenn ich die Früchte jetzt nicht sehe. Irgendwann werden die Kirchen die wichtigsten Friedensvermittler im Land sein. Es gibt keine andere Organisation, die dazu fähig wäre oder das Ansehen hätte.

Frage: Wie sieht ihre alltägliche pastorale Arbeit aus? Können Sie diese überhaupt noch ausüben?

Schmidt: Wir haben unseren pastoralen Plan für das Jahr erstellt und versuchen, diesen den gegebenen Umständen entsprechend durchzuziehen. Wir können uns frei bewegen, unsere Außenstellen besuchen und Katecheten ausbilden. Außerdem helfen wir bei der Alphabetisierung mit, zum Beispiel in der staatlichen Schule in Old Fangak und zwei privaten Schulen. Alles geht irgendwie weiter. In diesem Alltag habe ich meine Lebenserfüllung gefunden. Ich sehe, dass die Menschen trotz der schrecklichen Umstände des Bürgerkriegs ihr Leben leben. Sie haben auch gar keine andere Chance.

Frage: Man blickt in diesem Konflikt häufig starr auf die beiden Ethnien der Dinka und Nuer. Dabei gibt es viele andere Volkgruppen im Südsudan. Wie positionieren sie sich?

Schmidt: Die anderen Volksgruppen machen über die Hälfte der Gesamtbevölkerung aus. Sie verhalten sich ruhig, weil sie nicht wissen, wer die Oberhand gewinnt. Ich vermute jedoch, dass sie sowohl die Dinka als auch die Nuer satt haben. Sie wollen einen Präsidenten, der aus keinem der beiden Lager stammt.

Frage: Wie ist Ihre Meinung dazu? Braucht es einen neutralen Präsidenten?

Schmidt: Ja, unbedingt. Die Internationale Gemeinschaft muss mehr Druck auf die Konfliktparteien ausüben und sowohl den Präsidenten Salva Kiir als auch den Rebellenführer Riek Machar dazu drängen, sich zurückzuziehen. Danach müsste ein Präsident, der einer ethnischen Minderheit angehört, gewählt werden. Bisher waren alle Verhandlungen darauf angelegt, dass sich die beiden Kontrahenten einigen, was meiner Meinung nach schon eine Sackgasse ist.

Frage: Die Wahl eines neuen Präsidenten liegt bisher leider noch in der Ferne. Es wird weiter gekämpft. Wo kann man überhaupt mit der Friedensarbeit ansetzen?

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Schmidt: In die aktive Kriegshandlung kann man nicht eingreifen, weil diese außer Kontrolle geraten ist. Es gibt keine einheitliche Befehlsstruktur. Die Führer der beiden Konfliktparteien – vor allem Riek Machar – haben oft wenig Einfluss auf die Kämpfe, die sich auf unterer Ebene abspielen. Ab einem gewissen Zeitpunkt wird es eine Kriegsmüdigkeit auf beiden Seiten geben. Dann gibt es eine Verhandlungslösung. Dieser Punkt ist leider noch nicht erreicht. Familien auf beiden Seiten haben Verwandte verloren. Der Drang nach Vergeltung ist derzeit einfach noch stärker als die Kriegsmüdigkeit.

Frage: Macht es überhaupt Sinn, die Führer beider Parteien abzusetzen? Brodelt der Konflikt nicht trotzdem weiter?

Schmidt: Wenn sich eine repräsentative Gruppe von Dinka und Nuer formen würde, die Salva Kiir und Riek Machar ausschließen würde, wäre es vielleicht möglich, den Konflikt auch auf unterer Ebene zu beruhigen.

Frage: Was müsste danach passieren?

Schmidt: In vielen afrikanischen Ländern fließen abhängig von der ethnischen Zugehörigkeit des Regierungsoberhauptes die Staatseinnahmen in bestimmte Regionen und es bereichern sich einzelne Personen – je nachdem, welches Volk gerade an der Macht ist. Das, was früher das Überleben der eigenen Sippe und der eigenen ethnischen Gruppe gesichert hat – nämlich kompromisslos für die eigene Familie zu sorgen – ist der Tod für einen modernen Staat, weil die regierende Ethnie andere ausschließt. Im Südsudan sind die Dinka die größte Volksgruppe. Daher haben sie einen natürlichen Machtanspruch, das Land zu leiten. Dieser Anspruch sollte verhandelbar sein. Es ist notwendig, ein System zu finden, in dem alle Volksgruppen ihren Anteil abbekommen. Die Öleinnahmen müssten dezentral dort verwaltet werden, wo Interesse besteht, die Gelder in Bildung und Infrastuktur zu investieren. Das würde langfristig den Völkern im Südsudan ermöglichen, in Frieden miteinander zu leben.

Das Interview führte Lena Kretschmann.

„Ich erwarte nichts Gutes“

Im Interview mit dem Internetportal Weltkirche sprach Pater Gregor Schmidt im Februar 2014 über die Lage im Südsudan und blickte dabei mit Sorge in die Zukunft.

„Wo sollen sie hin?“

Pater Gregor Schmidt im Interview mit dem Südwind-Magazin (März 2014) über die Ursachen des Konflikts:

Christliche Verkündigung mitten im Bürgerkrieg

Im Interview mit dem Institut für Weltkirche und Mission (10.02.2014) spricht Pater Gregor über seine Missionsarbeit bei den Nuer:

Hintergrund

Auf der Webseite der Comboni-Missionare finden Sie stets aktuelle Nachrichten aus dem Südsudan: zur Webseite Im Rundbrief von Pater Gregor vom 8. Januar 2014 lesen Sie eine umfangreiche Analyse der Ursachen des Konflikts im Südsudan: Rundbrief lesen Nachrichten aus dem Südsudan – zusammengefasst von Pater Gregor und seinem Mitbruder Raymondo Rocha: Nachrichten lesen Botschaft des südsudanesischen Kirchenrats zu den Machtkämpfen in Juba (DOC) (17.12.2013): Botschaft lesen