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Es ist besser geworden
Die Fischauktionshalle im Hafenstädtchen Banda Aceh auf der indonesischen Insel Sumatra ist neu. Inzwischen wird sogar ein kleiner Eintritt erhoben für die, die auf das Gelände wollen. Fisch ist reichlich vorhanden, die silbernen Schuppen glitzern im Sonnenlicht. Ich werde angestarrt, denn Frauen und vor allem westliche, sind hier sonst keine. Ich suche einen alten Bekannten, den ich nach dem Tsunami vor zehn Jahren kennengelernt habe.
Aktualisiert: 12.07.2015
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Die Fischauktionshalle im Hafenstädtchen Banda Aceh auf der indonesischen Insel Sumatra ist neu. Inzwischen wird sogar ein kleiner Eintritt erhoben für die, die auf das Gelände wollen. Fisch ist reichlich vorhanden, die silbernen Schuppen glitzern im Sonnenlicht. Ich werde angestarrt, denn Frauen und vor allem westliche, sind hier sonst keine. Ich suche einen alten Bekannten, den ich nach dem Tsunami vor zehn Jahren kennengelernt habe.
Herr Suherman ist Leiter der örtlichen Fischhändlervereinigung. Obwohl er dünner geworden ist, kann ich ihn im morgendlichen Gedränge schnell ausmachen. Schlecht sieht er aus, 57 Jahre muss er nun alt sein. Er ist abgemagert seit unserem letzten Treffen, die Augen etwas gelblich gefärbt – von seiner akuten Diabetes, wie ich später erfahre. „Ibu Christina?“ Offensichtlich erinnert er sich – und freut sich. Eine Umarmung zwischen Mann und Frau wäre nicht passend im Scharia Staat, doch er hält meine Hand sehr lange fest. „Ich freue mich, dich zu sehen nach so langer Zeit! Fast zehn Jahre! Ich erinnere mich genau“, sagt er. Caritas International hatte die Fischer direkt nach dem Tsunami unterstützt. Und Herr Suherman ist uns allen damals wirklich zum Freund geworden.
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Caritas hat LKWs und Boote sowie Equipment gesponsert. Die Fischhändler haben uns tiefe Einblicke in ihr Leben gegeben, haben Krebse gekocht für uns im Caritasbüro. Suherman war immer ein harter rauer Typ nach außen. In vielen Gesprächen offenbarte er dann erstaunlich tiefe Gefühle und Ängste. Er sprach über Trauer und Schwäche – was ungewöhnlich war für einen Fischer in der indonesischen Machogesellschaft. Genau deshalb habe ich ihn nie vergessen, und so galt mein erster Besuch ihm. Suherman spricht gleich von der alten „Caritas-Familie“.
So wie es sonst gute Verwandte tun, lädt er mich zum Kaffee in eine Holzbude ein, gleich neben dem Fischmarkt. „Hätte ich gewusst, dass du kommst, hätte ich mich gewaschen“, lacht er. Hier auf dem Auktionsgelände riecht es streng nach Fisch. Dieser Geruch, verbunden mit dem Geschmack des fürchterlich süßen und starken Kaffees, versetzt mich sofort zurück in die Zeit von vor zehn Jahren.
„Wie ein Buch, das ich zugeklappt habe“
Als ich Herrn Suherman das erste Mal traf, einen Monat nach dem Tsunami, lebte er in einem Zelt nahe dem ehemaligen Hafen in einer völlig zerstörten Gegend. Er selber hatte die Welle nur knapp überlebt, war umhergewirbelt worden und konnte sich an einem Hausdach festhalten. Seine Frau und seine fünf Kinder waren nicht stark genug. Darüber aber kann er, will er heute nicht mehr sprechen. „Das ist wie ein Buch, was ich zugeklappt habe“, beschreibt er es mir.
Stattdessen erzählt er von seinem neuen Leben. Nicht zu schlecht sei es, sagt er bescheiden. Eine neue Frau habe er und zwei neue Kinder, neun und drei Jahre alt. Als ich ihn fragend anschaue, grinst er traurig. „Ich weiß, ihr Westler fragt immer nach Liebe und Gefühlen und so weiter... aber ich musste so schnell wieder heiraten, das hatte ich dir doch damals schon einmal erzählt. So funktioniert meine Gesellschaft.“ Dann neckt er: „Du wolltest mich damals ja nicht heiraten!“ Wir lachen beide, denn beide wissen wir, wie unterschiedlich unsere Welten sind.
Dann wird er schnell wieder ernst. „Das Leben zehn Jahre nach dem Tsunami ist ein anderes, das ist klar“, sagt Suherman. „Aber eigentlich kein schlechteres.“ Die Situation der Fischer und Händler sei besser, zumindest finanziell. Nicht nur die Spenden der Hilfsorganisationen von damals hätten geholfen. Mittlerweile habe auch die Regierung Sozialversicherungen für sie eingeführt. Fisch sei genug da und man dürfe nun auch an anderen Plätzen fischen.
Die ersten Jahre nach der Katastrophe waren dennoch hart für alle, trotz der Hilfe von Caritas und anderen, sagt der Händler. Erst seit 2008 ungefähr, also vier Jahre nach dem Tsunami, war das Fischereigeschäft wieder so gut wie vorher. „Vielleicht sogar ein bisschen besser. Alles in allem ist unser Leben hier ganz okay geworden“, so Suherman. „Aber es ist eben ein anderes, ein neues Leben. Und das können wir alle hier niemals vergessen! Ich wohne nun gleich neben einem Tsunami-Denkmal. Das ist ein Boot auf einem Hausdach, das nun zur Gedenkstätte gemacht wurde. Wie könnte ich ohne einen Stich im Herzen tagtäglich daran vorbeigehen…“
Die Ausländer seien nun weg, spricht er weiter. „Aber ich erinnere mich an alle. Vor allem an Caritas Deutschland.“ Ich erzähle ihm, dass auch die Deutschen ihn und seine Mitmenschen in Banda Aceh nicht vergessen hätten – und dass diese Erinnerung an die Katastrophe und die betroffenen Menschen der Grund meines Besuches bei ihm sei. Bei der Verabschiedung frage ich ihn noch, wie er den 26. Dezember – den zehnten Jahrestag der Katastrophe – begehen wird. „Wir Fischhändler haben ein gemeinsames Gebet geplant am Morgen, wir werden einige Stunden die Arbeit ruhen lassen“, sagt er, dann schweigt er lange und schaut ihn die Ferne. „Und dann irgendwann an diesem Tag werde ich in hemmungslose Tränen ausbrechen, das weiß ich jetzt schon. Und ich werde es zulassen. Allerdings nur an diesem einen Tag.“
Von Christina Grawe