„Da kann man zornig werden“
Entwicklungspolitik ‐ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will beim bevorstehenden G7-Gipfel entwicklungspolitische Akzente setzen. Dafür sucht sie das Gespräch mit Nichtregierungsorganisationen. Der Vorstand des entwicklungspolitischen Dachverbands Venro und leitende Misereor-Mitarbeiter, Bernd Bornhorst, will die Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Die G7-Staaten seien auch Teil des Problems und an manchen Stellen beschämend knauserig.
Aktualisiert: 12.07.2015
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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will beim bevorstehenden G7-Gipfel entwicklungspolitische Akzente setzen. Dafür sucht sie das Gespräch mit Nichtregierungsorganisationen. Der Vorstand des entwicklungspolitischen Dachverbands Venro und leitende Misereor-Mitarbeiter, Bernd Bornhorst, will die Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Die G7-Staaten seien auch Teil des Problems und an manchen Stellen beschämend knauserig.
Frage: Herr Bornhorst, der G7-Gipfel ist ein Zusammentreffen der größten Industrienationen, die EU ist auch dabei. Was erhoffen Sie sich?
Bornhorst: Aus der Perspektive der Menschen, die Hunger und Not leiden, sind die Hoffnungen wohl gar nicht so hoch. Wenn man sich anschaut, wie groß die Zerstörungsdynamik auf der Welt ist und wie langsam die Gipfel-Diplomatie, kann man schon zornig werden. Hinzu kommt, dass die G7-Staaten mit ihrem Glauben an Wachstum und Handel eher Teil des Problems als Teil der Lösung sind. Auf der anderen Seite repräsentieren diese Staaten weiterhin 50 Prozent der Weltwirtschaft. Für arme Menschen und deren Zukunft ist es wichtig, was die G7-Staaten machen. Wir wollen daher einen kleinen Beitrag leisten, dass auch die Stimmen dieser Menschen am Verhandlungstisch Gehör bekommen.
Frage: Haben Sie konkrete finanzielle Forderungen?
Bornhorst: Sicherlich. Zum einen ist da die altbekannte und unerfüllte Forderung, 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe bereitzustellen. Das ist weiterhin wichtig, um politisch glaubwürdig zu bleiben. Darüber hinaus gibt es leider eine Menge anderer Bereiche, in denen zusätzliche Mittel notwendig wären, zum Beispiel bei der Ernährungsfrage oder bei der Klimaanpassung. Leider fehlt es an allen Ecken und Kanten an Geld. Es ist beschämend, dass gerade die G7 an dieser Stelle manchmal doch so knauserig sind.
Frage: Wie sieht es mit den Mitteln für humanitäre Hilfe aus?
Bornhorst: Die humanitären Krisen sind in den letzten Jahren auch als Folge von falscher Politik enorm angestiegen. Und das Ansteigen der Mittel hat damit überhaupt nicht Schritt gehalten. Da mangelt es tatsächlich an vielen Dingen, etwa bei der Logistik oder der Absprache der Geldgeber. Hier muss sich die Politik besser aufstellen, da es diese Krisen immer geben wird. Genauso zentral ist, dass wir uns mehr bemühen, diese Krisen, dort wo es möglich ist, zu verhindern.
Frage: Für den G7-Gipfel sind mit Ebola, Antibiotikaresistenzen und vernachlässigten Krankheiten, Gesundheitsthemen Schwerpunkte. Eine gute Wahl?
Bornhorst: Ich sehe die Themen, die auf der Tagesordnung stehen, nicht in Konkurrenz zueinander. Natürlich ist Gesundheit zentrales Thema im Leben armer Menschen. Vermutlich brauchen wir immer wieder Krisen und Katastrophen wie jetzt die Ebola-Epidemie, damit solche Dinge prominent auf der Tagesordnung landen. Entscheidend ist, was bei dem Gipfel daraus gemacht wird.
Frage: Das Thema Flüchtlinge ist nicht auf der Agenda.
Bornhorst: Es wäre interessant zu wissen, ob es drauf gewesen wäre, wenn die Bundesregierung vor ein paar Wochen gewusst hätte, was man heute weiß. Ich vermute, dass es auch deshalb nicht drauf ist, da die G7 sich nicht für zuständig erachten. Aber viele der G7-Themen haben mit den Fluchtursachen zu tun.
Frage: Wollen sie den Link zwischen Entwicklungspolitik und Flüchtlingsfrage noch verstärkt mit der Kanzlerin besprechen?
Bornhorst: Die Flüchtlinge kommen ja nicht, weil sie von einem Leben im Schwarzwald oder von einem deutschen Asylbewerberheim träumen. Die Not in ihren Ländern ist so groß, dass ihnen nichts anderes übrig bleibt, als für sich und ihre Kinder in der Fremde eine Zukunft zu suchen. Wir müssen mehr dafür tun, dass diese Menschen in ihrer Heimat gut leben können – nicht weil wir sie nicht haben wollen, sondern weil das ein Menschenrecht ist. Damit sind wir natürlich bei entwicklungspolitischen Fragestellungen. Auf der anderen Seite geht es aber auch um unseren Lebensstil und unsere Wirtschaftspolitik, die für manche Fehlentwicklung im Süden mitverantwortlich sind. Auch darüber müssen wir diskutieren.
Frage: Wo sehen sie die Rolle der Kirchen in der Entwicklungszusammenarbeit?
Bornhorst: Die kirchlichen Hilfswerke, die ja auch zu den Venro-Mitgliedern gehören, haben einen großen Vorteil: Sie sind weltweit verankert, Kirchen gibt es überall. Man nimmt ihnen ab, dass sie mit einem moralischen, christlichen Impetus an die Sache herangehen und nicht eigene Interessen vertreten. Das gibt ihnen in der Politik eine hohe Glaubwürdigkeit verbunden mit jahrelanger Fachkompetenz. Insofern wird genau hingehört, wenn sie sich äußern. Darüber hinaus wird immer klarer, dass Kirche und Religion in der gesellschaftlichen Zukunftsgestaltung wichtige Faktoren sind. Einerseits wird Religion missbraucht, um Konflikte zu schüren, andererseits ist es für die vielen religiösen Menschen auf der Welt zentral, wie sich Religion zu Entwicklung und Frieden verhält.
Frage: Könnte da noch mehr Austausch zwischen Kirchen und Regierungen stattfinden, gerade mit Blick auf den Gipfel?
Bornhorst: Im Bundesentwicklungsministerium wurde bereits eine eigene Initiative gestartet, bei der die Rolle von Religion in der Entwicklungszusammenarbeit reflektiert und bearbeitet wird. Da sind wir schon einen ganzen Schritt weiter. Im G7-Kontext würde es mich wundern, wenn das Religiöse als Thema zum Tragen kommt.
Das Interview führte Anna Mertens (KNA).