Ins Visier genommen
Rüstungsexporte ‐ Fluchtursachen bekämpfen, Konflikte verhindern: Das ist zu einem Mantra der deutschen Flüchtlingspolitik geworden. Dazu scheinen die jüngsten Rüstungsexportzahlen der Bundesregierung kaum zu passen.
Aktualisiert: 14.02.2023
Lesedauer:
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ging am vergangenen Freitag in die Offensive. Auf einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz informierte er die Journalisten über die jüngsten Eckdaten zu den deutschen Waffenexporten im vergangenen Jahr, die der Bundestagsabgeordnete Jan van Aken (Linke) Anfang Februar beim Wirtschaftsministerium angefragt hatte. Nach der Pressekonferenz erhielt van Aken schließlich Post aus Gabriels Haus.
Dass erst die Medien und dann die Abgeordneten informiert werden, ist ungewöhnlich. Ein Grund dafür mag sein, dass ausgerechnet jener Minister, der eine Trendwende in der Rüstungspolitik einleiten wollte, nun einen eklatanten Anstieg der geplanten Ausfuhren verantworten muss.
Sammelausfuhrgenehmigungen 2015 fast verdoppelt
Aus dem Schreiben des Ministeriums an van Aken geht hervor, dass Sammelausfuhrgenehmigungen, die zumeist im Rahmen von Rüstungskooperationen zwischen Nato- oder EU-Staaten erfolgen, 2015 einen Umfang von 4,96 Milliarden Euro hatten – im Vergleich zu 2,545 Milliarden Euro im Jahr 2014.
Bei den Einzelausfuhrgenehmigungen stieg der Wert von 3,974 Milliarden Euro im Jahr 2014 laut Darstellung des Ministeriums auf 5,9 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Diese Genehmigungen sind wegen eines hohen Anteils an Ausfuhren in Drittstaaten umstritten.
In diese Kategorie fällt eigentlich auch noch die Lieferung eines U-Boots nach Israel und mehrerer Panzer nach Katar. Beide Posten – immerhin mit einem Volumen von 351 Millionen Euro (Israel) beziehungsweise 1,6 Milliarden Euro (Katar) – lässt das Ministerium bei seiner Gesamtschau der Einzelausfuhrgenehmigungen aber außen vor.
Als Grund führt ein Sprecher auf Nachfrage an, dass die Panzer-Lieferung nach Katar „von der vorangegangenen Bundesregierung infolge einer Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz aus dem Jahr 2013 politisch zu verantworten ist“. Die geplante Lieferung des U-Bootes nach Israel gehe auf eine Entscheidung aus dem Jahr 2003 zurück.
„Ein absoluter Rekord“
„Sigmar Gabriels Verrenkungen, die radikale Steigerung der Waffenexporte zu relativieren, sind geradezu verzweifelt“, kommentiert Linken-Politiker van Aken. Er hat alle Posten zusammengerechnet und kommt zu folgendem Ergebnis: „Im Jahr 2015 wurden Rüstungsexporte in Höhe von insgesamt 12,81 Milliarden Euro genehmigt.“ Das sei eine Zunahme von 96 Prozent gegenüber dem Vorjahr und „ein absoluter Rekord in der Geschichte der Bundesrepublik“.
Rüstungsgegner wie die Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, die auch von kirchlichen Organisationen unterstützt wird, weisen darauf hin, dass das Kriegswaffenkontrollgesetz „jederzeit den Widerruf einer erteilten Genehmigung“ erlaube. Die in solchen Fällen erforderliche Zahlung einer Entschädigung an die betroffenen Unternehmen sei „allemal menschlicher als die Beihilfe zu Mord durch die Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen von Kriegswaffen und Rüstungsgütern an kriegführende und menschenrechtsverletzende Staaten“.
Gabriel zugutehalten muss man, dass er nicht allein über politisch bedeutsame Rüstungsexporte entscheidet. Das obliegt dem Bundessicherheitsrat. Ihm gehören außer dem Wirtschaftsminister als ständige Mitglieder an: der Bundeskanzler, der Außen- und Verteidigungsminister, der Innen- und Finanzminister, die Leiter der Ressorts Justiz und Entwicklungshilfe sowie der Chef des Bundeskanzleramtes.
Rüstungsverkäufe weltweit gestiegen
Das Verfahren gilt Kritikern als intransparent, auch gibt es mehrere Richtlinien, die bei den Entscheidungen zur Anwendung gelangen. Gabriel will nun prüfen lassen, ob eine Bündelung dieser Richtlinien in einem eigenen Rüstungsexportgesetz sinnvoll ist. Dazu soll eine Expertenkommission Vorschläge erarbeiten.
Einstweilen stehen die aktuellen Zahlen im Raum. Und fügen sich ein in einen beunruhigenden Trend, den am Montag das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri zusammenfasste. Demnach stiegen die weltweiten Rüstungsverkäufe zwischen 2011 und 2015 im Vergleich zum Zeitraum von 2006 bis 2010 um 14 Prozent. Viele Ausfuhren gingen in die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens – in jene Regionen also, aus denen immer mehr Menschen vor Krieg und Gewalt nach Europa fliehen.
Von Joachim Heinz (KNA)
© KNA