Begegnungen im Irak

Begegnungen im Irak

Flüchtlinge ‐ Die Gräueltaten der IS-Terrormiliz im Nordirak sind schier unbeschreiblich. Kinder werden entführt, Mütter vergewaltigt, Väter gefoltert und erschossen. Der Rottenburger Domkapitular Heinz Detlef Stäps ist kürzlich von einer Reise nach Erbil und Zakho zurückgekehrt. In einem Gastbeitrag schildert er die Situation der irakischen Flüchtlinge - und erzählt ihre erschütternde Geschichte.

Erstellt: 07.04.2016
Aktualisiert: 07.04.2016
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Die Gräueltaten der IS-Terrormiliz im Norden Iraks sind schier unbeschreiblich. Kinder werden entführt, Mütter vergewaltigt, Väter gefoltert und erschossen. Der Rottenburger Domkapitular Heinz Detlef Stäps ist kürzlich von einer Reise nach Erbil und Zakho zurückgekehrt. In einem Gastbeitrag schildert er die Situation der irakischen Flüchtlinge - und erzählt ihre erschütternde Geschichte.

Gerade bin ich zurückgekehrt von meiner sechstägigen Reise nach Erbil und Zakho im Nordirak. Ich habe viele Menschen getroffen. Die meisten von ihnen Binnenflüchtlinge, die vor der Gewalt des IS fliehen mussten, um das nackte Leben zu retten. Ich habe mit Eltern gesprochen, die von IS-Barbaren mit Messern, die an die Kehlen ihrer Kinder gehalten wurden, gezwungen wurden, zum Islam zu konvertieren. Ich habe mit einem Pfarrer gesprochen, dessen Kirche vor seinen Augen in die Luft gesprengt, der gekidnappt und gefoltert und dessen Kniescheibe durch einen Schuss zertrümmert wurde. Flüchtlinge zeigten mir Fotos ihrer Häuser, die nun zerstört oder von anderen besetzt sind. Ein Vater erzählte mir mit ruhiger Stimme von seinen beiden Töchtern, die vom IS getötet wurden. Und ich weiß nicht, mit wie vielen Frauen ich gesprochen habe, die vergewaltigt wurden, denn davon sprechen sie nicht.

Bild: © DRS

Vielen psychisch verwundeten Menschen bin ich begegnet. Die meisten von ihnen wohnen in viel zu kleinen Unterkünften mit vielen anderen zusammen. Manche sogar in Kellern von Bauruinen, wo der Winter mit Eiseskälte durchzieht und Schimmel an der Decke wächst. Ein paar wohnten inmitten von Müllkippen.

Allen gemeinsam war die Perspektivlosigkeit. Sie leben zum Teil schon seit August 2014 in diesen Situationen. Sie haben keine Jobs, keine Beschäftigung. Sie wissen nicht, wie es weitergehen soll, es gibt keine Hoffnung auf Veränderung. Aber eins habe ich nirgendwo getroffen: Hass. Keiner, der sich rächen wollte an denen, die ihnen das angetan haben. Nur manchmal die Aussage, nicht mehr in die Heimat zurückkehren zu wollen und den „Nachbarn“ in die Augen blicken zu müssen. Viele von denen, mit denen ich gesprochen habe, sind Christen. Sie wissen, was Jesus über Feindesliebe gesagt hat, aber es in diesen Situationen existentiell zu füllen, ist eine ungeheure Herausforderung. Viele von ihnen sind gut ausgebildet und vielleicht ist das der entscheidende Punkt: Wer gebildet ist, der kann unterscheiden, hat gelernt, dass er nicht alle über einen Kamm scheren kann, hat erkannt, dass die Welt nicht nur aus Schwarz oder Weiß besteht, wie die Extremisten aller Couleur sie gerne sehen.

„Sie wissen nicht, wie es weitergehen soll, es gibt keine Hoffnung auf Veränderung. Aber eins habe ich nirgendwo getroffen: Hass.“

—  Zitat: Domkapitular Heinz Detlef Stäps

Und deshalb ist es gerade in dieser extremen Situation im Nordirak so wichtig, sich für Bildung einzusetzen. Wehe, wenn in den Flüchtlingscamps dieser Welt eine Generation ohne Bildung heranwachsen würde, die eine leichte Beute für radikale Rattenfänger wäre – und dann auf Rache sinnen würde. Wir unterstützen deshalb die enormen Anstrengungen der chaldäischen Erzdiözese Erbil, Kindergärten und Schulen zu bauen und sogar eine Universität für Flüchtlinge. Wir unterstützen die Projekte der Caritas Irak, um die Not der Flüchtlinge zu lindern und ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Aber es ist noch nicht genug. Wir leisten bereits sehr viel, um die Flüchtlinge, die bei uns ankommen, aufzunehmen und anzunehmen. Die Länder, wo sie herkommen, haben viel größere  Zahlen zu verkraften und es ist eine viel schlechtere Infrastruktur dafür vorhanden. Sie sind auf unsere Hilfe angewiesen.

Ich bin tief bewegt von den vielen Menschen mit erschütternden Geschichten. Aber ich bin auch hoffnungsvoll, weil es dort Menschen gibt, die sie nicht allein lassen.

Von Domkapitular Heinz Detlef Stäps

Quelle: DRS.GLOBAL – Aus der weltkirchlichen Arbeit der Diözese Rottenburg-Stuttgart 2/2016 . Mit freundlichem Dank für die Genehmigung.

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