
„Die Steyler stehen zu den Mapuche“
Chile ‐ Unruhen erschüttern den Süden Chiles: Kirchen brennen, die Regierung verurteilt die Anschläge radikaler Mapuche-Indianer. Aber wer ist hier Opfer und wer Täter? Pater Christian Tauchner vom Steyler Missionswissenschaftlichen Institut ordnet das Geschehen ein.
Aktualisiert: 14.04.2016
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Unruhen erschüttern den Süden Chiles: Kirchen brennen, die Regierung verurteilt die Anschläge radikaler Mapuche-Indianer. Aber wer ist hier Opfer und wer Täter? Pater Christian Tauchner vom Steyler Missionswissenschaftlichen Institut ordnet das Geschehen ein.
Frage: Im Süden Chiles ist der schon seit Jahren schwelende Konflikt zwischen Großgrundbesitzern und der Volksgruppe der Mapuche eskaliert. Was ist der Grund für die aktuelle Welle der Gewalt?
Tauchner: Schon seit Langem wird auf das angestammte Territorium der Mapuche Druck ausgeübt: Das Gebiet wird militarisiert, Männer und Frauen aus den Mapuche-Gemeinschaften werden bedroht, eingeschüchtert und politisch verfolgt, auf ihre Häuser werden Brandanschläge verübt. Seit vielen Jahren werden die Mapuche ausgebeutet und unterdrückt, insbesondere seit der Expansion der Republik in den Süden Chiles Ende des 19. Jahrhunderts. Nun ist die Gewalt – wieder einmal –eskaliert, und ein Ende dieser Anschlagswelle ist noch nicht in Sicht. Ausgeführt werden sie von einer extremistischen Minderheit. Im Mittelpunkt stehen aktuelle Gebietskonflikte: Staudammprojekte und die Waldindustrie, die Fischereiindustrie und Müllhalden bedrohen den Lebensraum der Indios. Dazu muss man wissen, dass die Mapuche in ihrer Kultur und Religion stark mit den Elementen verbunden sind. Sie leben von der Erde, angefangen von den Bergen über das Ackerland im schmalen Küstenstreifen bis hin zum Meer. Letzteres ist für sie kein bloßes Territorium für den Fischfang, sondern wesentlicher Bestandteil vieler ihrer Riten. Wenn der Staat den Mapuche aktuell zum Beispiel den Zugang zum Meer blockiert, zerstört er damit nicht nur ihre Existenzgrundlage, sondern schadet auch ihrer Kultur.
Frage: Mehrere Kirchen sind den Angriffen extremistischer Mapuche zum Opfer gefallen. Vorgestern ist in Canete eine Kapelle niedergebrannt, vorige Woche ist ein Gotteshaus der Steyler Missionare in Quepe in Flammen aufgegangen. Das klingt paradox, gibt es doch viele Christen unter den Mapuche.
Tauchner: Die Gewalt macht blind und richtet sich dann mitunter auch gegen Freunde. Ob es strategische Überlegungen gibt, durch den Angriff auf eine Kirche eine größere Aufmerksamkeit zu erreichen, kann ich nicht sagen. Es würde mich aber nicht überraschen. In einem Ort wie Quepe, wo die Steyler Kirche niedergebrannt worden ist, gibt es ja auch sonst kaum ein interessantes Angriffsziel. Andererseits sind natürlich Kapellen oder Schulen auch Symbole der Kultur der Weißen, des Staats, die das traditionelle Leben der Mapuche verändert haben und als Bedrohung gesehen werden. Darüber hinaus geht es wohl auch um einen Protestschrei. In einer Stellungnahme von Verantwortlichen aus der Mapuche-Pastoral heißt es: „Wir bedauern, dass wir als katholische Kirche nach so vielen Jahren des Engagements für die Anliegen der Mapuche jetzt immer schweigsamer und distanzierter geworden sind und keine Möglichkeit mehr wahrnehmen, als Vermittler zu wirken oder einen Dialog zur Herstellung von Gerechtigkeit und wahrem Frieden zu fordern.“

Frage: Woher kommt diese Schweigsamkeit, die die Seelsorger da selbstkritisch einräumen?
Tauchner: Wie in der chilenischen Gesellschaft allgemein gibt es auch in der katholischen Kirche unterschiedliche Meinungen dazu, wie mit den Mapuche umgegangen werden sollte. Manche plädieren für eine „Integration“ der Mapuche in den Rest der Gesellschaft, ohne ihre Eigenart und Besonderheiten zu berücksichtigen. Andere wollen sich für die Kultur und Religion der Mapuche einsetzen. Mit so einer Option werden aber die kapitalistischen und industriellen Interessen mächtiger Unternehmergruppen Chiles in Frage gestellt und die Seelsorger der Mapuche-Pastoral sehen sich vielen Verdächtigungen und Anfeindungen aus der chilenischen Gesellschaft ausgesetzt. Es ist gut und tröstlich zu sehen, dass die Steyler zu den Mapuche und ihrer Kultur stehen, auch in schwierigen Zeiten, in denen Kirchen brennen. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass die Steyler seit dem letzten Generalkapitel die Verteidigung und Förderung der Kultur- und Lebensrechte der indigenen Völker zu einem der Schwerpunkte ihres weltweiten Engagements erklärt haben.
Frage: Was macht denn die Mapuche-Pastoral der Steyler aus? Wie begegnen die Missionare einem „verwundeten“ Volk, das inzwischen einen Großteil seiner einstigen Siedlungsgebiete verloren hat?
Tauchner: Die Steyler Missionare in Chile haben in den 1980er Jahren angefangen, die Möglichkeit einer Pastoral bei den Mapuche zu studieren. Es ist seit damals klar, dass so ein Engagement vor allem dem Schutz der Kultur und Lebensweise der Mapuche dienen muss. Es sollte also beim Engagement der Steyler für die Mapuche nie einfach darum gehen, „gut katholische Pfarreien“ aufzubauen – sondern um einen besonderen Dienst an den Mapuche-Gemeinschaften. Im Steyler Missionswissenschaftlichen Institut sind wir gerade dabei, ein Grundsatzdokument zu dieser Entscheidungsfindung zu veröffentlichen. Über Jahrzehnte hat sich diese Pastoral entwickelt, es hat sicher viele Fortschritte und auch tiefgehende Infragestellungen gegeben, gerade auch deswegen, weil wir die Mapuche besser kennengelernt haben. Mapuche-Pastoral: Das bedeutet vor allem, mit den Mapuche selbst zu erarbeiten, wie ihr Lebensrecht, ihre Kultur und ihr gemeinschaftlicher Lebensraum beschützt werden kann. Das war und ist sicher ein anstrengender Weg für die Steyler. Es bedeutet auch, die Vorreiterrolle der Mapuche und ihrer eigenen Organisationen zu verstehen, zu akzeptieren und zu unterstützen, also gar nicht selber Initiativen zu setzen und den Weg zu weisen, sondern „nur“ zu begleiten. Zur Mapuche-Pastoral gehört es auch, sich elementar der „Verwundeten“ anzunehmen – also jenen Menschen beizustehen, die nicht nur von Enttäuschungen und Depressionen „verwundet“ worden sind, sondern auch von den Kugeln der Polizei.
Frage: Welche Figur macht der chilenische Staat im aktuellen Konflikt im Süden des Landes?
Tauchner: Er hat in den letzten Jahrzehnten immer drastischer versucht, das Territorium der Mapuche industriell auszubeuten und ihre Souveränität zu beenden. Die neoliberale Wirtschaftspolitik, die Chile extrem durchzieht und die über Leichen geht, wie man ja bei den Mapuche immer wieder wortwörtlich sieht, unterwirft alles dem Gesetz der Gewinnmaximierung durch private Firmen. Dabei übt der Staat immer wieder auch sein Machtmonopol aus und hält sich oft nicht an Abkommen, nicht einmal an Gesetze und Menschenrechte. Schlichtungsversuche und Vorschläge über einen neuen Umgang miteinander sind immer wieder ins Leere gelaufen. Der Staat steht also schlecht da im Konflikt mit den Mapuche.
Frage: Welche Forderungen erheben die Kirchen, um die Situation nachhaltig zu verbessern?
Tauchner: Die Mapuche-Seelsorger schlagen vor, dass vom Staat zwei fundamentale Akte auf den Weg gebracht werden müssten, um die Gewalt zu überwinden und den Frieden zu wahren. Zum einen fordern sie eine Rückerstattung des Landes an die Mapuche-Gemeinschaften – als Ausdruck der Bitte um Verzeihung. Zweitens fordern sie eine Wiedergutmachung. In ihrer Stellungnahme heißt es: „Das bedeutet, die Politik der Produktionsförderung neu zu definieren, die das Land unter einem anderen Paradigma ansieht, anders als nur für wirtschaftliche Ausbeutung. Wir müssen eine Sichtweise von ‚unserem gemeinsamen Haus‘ wiedergewinnen, wie uns Papst Franziskus in der Enzyklika ‚Laudato si‘ einlädt und wofür die Ursprungsvölker schon so lange gekämpft haben.“ Für ihr Anliegen von einer geschwisterlichen und gerechten Gesellschaft brauchen die Steyler – und mehr noch die Mapuche und andere Ursprungsvölker auf der ganzen Welt – alle Unterstützung, die man ihnen geben kann.
Das Interview führte Markus Frädrich.
© Steyler Missionare