Theologe Röwekamp über die Lage der Christen im Heiligen Land
Heiliges Land ‐ Die Situation für Christen im Heiligen Land ist schwierig geworden. Im Konflikt zwischen Israelis und muslimischen Palästinensern gerieten die Christen immer stärker zwischen die Fronten. Das berichtet Georg Röwekamp. Für den Leiter des Jerusalemer Büros des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande gibt es dafür nur eine Lösung.
Aktualisiert: 06.09.2016
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Vor sechs Monaten hat Georg Röwekamp (57), die Leitung im Jerusalemer Büro des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande (DVHL) übernommen. Zuvor war er 18 Jahre lang Geschäftsführer von „Biblische Reisen“ in Stuttgart. Mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sprach er über seine neue Aufgabe. Und die Situation der Christen in Israel und den Palästinensischen Autonomiegebieten.
Frage: Herr Röwekamp, Sie sind seit einem halben Jahr im Heiligen Land. Was ist Ihr bisheriger Eindruck?
Röwekamp: Das Land war mir nicht ganz unbekannt. Ich hatte das Glück, hier vor 35 Jahren zu studieren, und durch meine Tätigkeit bei „Biblische Reisen“ konnte ich auch die Veränderungen im Land wahrnehmen. Trotzdem ist es jetzt nochmal ein neues Kennenlernen.
Frage: Was genau lernen Sie in Israel und Palästina neu kennen?
Röwekamp: Politisch muss man konstatieren, dass es derzeit keinen Friedensprozess mehr gibt. Beide Seiten haben sich mehr oder weniger eingeigelt und verfolgen ihre eigene Agenda. Das macht die Lage äußerlich gesehen relativ ruhig. Aber darunter, fürchte ich, bereiten sich Eruptionen vor, die irgendwann kommen werden. Im kirchlichen Bereich gibt es derzeit große Wechsel. Der neue Kustos der Franziskaner arbeitet sich ein ...
Frage: Francesco Patton, der Nachfolger von Pierbattista Pizzaballa als oberster Hüter der christlichen Stätten im Heiligen Land ist. Pizzaballa wiederum...
Röwekamp: ... ist an die Spitze des Patriarchats gerückt, als Apostolischer Administrator – was im Moment noch schwer einzuordnen ist. Man hatte es als großen Fortschritt gefeiert, dass die beiden letzten Patriarchen aus dem Kreis der einheimischen Christen kamen. Ist das nun das Signal, dass diese Politik gescheitert ist? Oder ist die Bestellung eines Mannes, der das Land aufgrund seiner bisherigen Arbeit gut kennt, der aber nicht so sehr im orientalischen Geflecht verwoben ist, sogar ein Hoffnungszeichen? Zudem entsteht derzeit parallel zu den traditionellen kirchlichen Strukturen der einheimischen arabischen Christen eine neue Kirche.
Frage: Woraus besteht die?
Röwekamp: Aus Menschen, die großenteils in der israelischen Gesellschaft leben – Migranten, Gastarbeiter oder Flüchtlinge. Das ist eine große Herausforderung, aber auch eine Chance für die Kirche im Land. Wobei das sicher nicht ohne Brüche abgehen dürfte.
Frage: Ihre Organisation betreut Projekte zur Unterstützung einheimischer Christen, etwa die Schmidt-Schule am Damaskus-Tor mit 500 Schülerinnen. Wie sehen Sie die Lage der Christen?
Röwekamp: Die Lage ist seit vielen Jahren gekennzeichnet durch eine Position zwischen den Stühlen. Von vielen Palästinensern werden sie nicht als vollwertige Palästinenser angesehen, weil für sie der Islam dazugehören muss. Für viele Juden stehen sie als Palästinenser auf der anderen Seite. Wenn man es positiv sehen will, kann man ihnen eine Brückenfunktion zwischen diesen beiden Kulturen zuschreiben. Die Christen selber erleben es eher als die Position zwischen Mühlsteinen. Der Trend zur Auswanderung hält an.
Frage: Was erreichen Sie mit ihren Projekten für die arabischen Christen?
Röwekamp: Die Hilfswerke sorgen dafür und erreichen, dass die einheimischen Christen in der Regel keine existenzielle Not leiden und ihr Auskommen haben. Wir bieten ihnen hier meistens eine gute Bildung, die es ihnen ermöglicht, Arbeit zu finden, auf der palästinensischen oder auch auf der israelischen Seite. Manchmal ermöglichen wir ihnen damit freilich auch die Auswanderung, weil sie die Basis dafür ist, auch anderswo Arbeit zu finden. Eine Möglichkeit, die viele suchen, wenn das Gefühl des Eingeengtseins zwischen den Blöcken zu stark wird. Das ist eine Perspektive, die mich persönlich freilich auch bedrückt.
Frage: Der DVHL ist auch in den universitären Austausch durch das „Theologische Studienjahr“ der Dormitio involviert. Welchen Stellenwert hat diese Initiative?
Röwekamp: Einen überaus hohen. Es haben inzwischen über 1.000 Studierende dieses Studienprogramm absolviert, die heute in der theologischen Forschung, aber auch in Politik, Wirtschaft oder Medien tätig sind. Sie bringen dort die Erfahrung von der Begegnung mit unterschiedlichen Kulturen und Religionen ein. Mich beeindruckt besonders, wie das Studienjahr weiterentwickelt wird.
Frage: Können Sie das näher beschreiben?
Röwekamp: Während zu meiner Zeit noch die innerchristliche Ökumene – zwischen Katholiken und Protestanten – und die Begegnung mit dem Judentum das beherrschende Thema war, so gibt es heute einen zusätzlichen Fokus auf den Kontakt zum Islam. In den christlich-muslimischen Werkwochen etwa arbeiten Studierende beider Religionen gemeinsam an Texten – und daran, dass sie untereinander sprachfähig werden. Das wird heute mehr denn je gebraucht. Daher ist es dringend notwendig, das Studienjahr weiterzuführen.
Frage: Welche weiteren Projekte liegen Ihnen besonders am Herzen?
Röwekamp: Besonders stolz bin ich auf unser Altenpflegeheim in Emmaus-Qubeibe, an das seit 2006 eine Pflege-Fakultät angeschlossen ist. In der Hochzeit der Intifada haben die dortigen Ordensschwestern in einem komplett muslimischen und von den Absperrungen besonders betroffenen Umfeld zusammen mit den Dorfbewohnerinnen die Idee einer Ausbildung zur Krankenpflegerin entwickelt – die heute auch von vielen jungen Männern wahrgenommen wird. Eine hochqualifizierte und anerkannte Ausbildung in Zusammenarbeit mit der Universität Bethlehem ermöglicht Menschen dort eine anspruchsvolle Berufstätigkeit.
Frage: Das Heilige Land erlebt derzeit eine Tourismusflaute. Es kommen weniger Besucher und Pilger als in früheren Jahren. Warum?
Röwekamp: Die aktuelle Flaute ist noch eine Nachwirkung des letzten Krieges um Gaza. Dann haben die Messerattacken insbesondere zwischen Oktober und Februar den Eindruck verstärkt, dieses Land sei nicht sicher. Die Erfahrung zeigt, es muss erst ein halbes Jahr ruhig gewesen sein, bevor Leute wieder anfangen, eine Reise hierher zu planen. Dann dauert es nochmal ein halbes Jahr, bis die Reise zustande kommt. Also erst ein Jahr nachdem sich die Lage beruhigt hat, können wir wieder auf ein verstärktes Reiseaufkommen hoffen. Paradoxerweise sind die Terroranschläge in der ganzen Welt ein Argument dafür, dass es eine absolute Sicherheit nirgendwo gibt.
Frage: Ein schwerer Schlag gegen die christlichen Institutionen war vor einem Jahr der von jüdischen Extremisten gelegte Brand im Benediktinerkloster Tabgha. Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Röwekamp: Der Anschlag in Tabgha macht deutlich, dass die Situation auch von ausländischen Christen im Land schwieriger geworden ist. Wir sind nicht so selbstverständlich akzeptierter Bestandteil dieses Landes, wie wir es vor Jahrzehnten waren. Es gibt Gruppen, die ein Land ohne christliche Präsenz vorziehen würden. Auf der anderen Seite hat der Anschlag in Tabgha eine breite Welle von Solidarität ausgelöst und Kontakte zu Gruppen auch auf jüdischer Seite hergestellt oder intensiviert. Zum Bewusstsein um die Bedrohung kam also auch die Erkenntnis, dass wir uns nicht in einem christlichen Ghetto einkapseln dürfen, sondern uns mit denen verbinden müssen, die – gleich welcher Religion – an einem friedlichen Miteinander interessiert sind.
Von Johannes Schidelko (KNA)
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